Die Geschichte klingt wie ein finsteres Kapitel aus einem früheren Jahrhundert. Doch in Wahrheit ist sie erschütternd aktuell. Der Inhalt einer Sammelklage in Kanada macht fassungslos und betroffen.
In verschiedenen Bundesstaaten Kanadas seien in den vergangenen Jahrzehnten und bis zum heutigen Tage Zwangssterilisationen an Ureinwohnerinnen vorgenommen worden, heißt es in der Klage.
Der Sammelklage haben sich demnach mindestens 60 betroffene Frauen aus der Provinz Saskatchewan angeschlossen. In den vergangenen 20 bis 25 Jahren, sogar bis mindestens ins Jahr 2017, hätten sie sich unfreiwillig der furchtbaren Prozedur unterziehen müssen.
Alisa Lombard, die die Interessen der Frauen für die Kanzlei Maurice Lombard vertritt, sagte jetzt dem Radiosender CBC: „Mitten in den Geburtswehen wurden die Frauen bedrängt, belästigt und schließlich dazu genötigt, ein Zustimmungsformular zu unterschreiben.“ Den Frauen sei gesagt worden, dass sie das Krankenhaus nicht verlassen dürften, solange ihre Eileiter nicht durchtrennt oder verätzt worden wären – oder „dass sie ihre Babys nicht sehen dürften, wenn sie der Sterilisation nicht zustimmen würden“.
Millionenklage gegen Ärzte und die Regierung
Die Sammelklage richtet sich nun gegen die beteiligten Mediziner, die Gesundheitsbehörden von Saskatchewan, die Provinz Saskatchewan und die kanadische Regierung. Jede der Frauen fordert sieben Millionen Dollar (umgerechnet knapp 6,2 Millionen Euro) Schmerzensgeld.
Die tiefen psychischen Wunden, die die Eingriffe bei den Frauen hinterlassen haben, wird aber selbst dieses Geld niemals schließen können.
Denn nicht nur wurden die Frauen zu den Eingriffen gezwungen – noch dazu sei den Opfern erzählt worden, die Operation sei reversibel, erzählt Alisa Lombard weiter. Viele der Frauen hätten in der Folge unter anhaltenden Depressionen und Angstzuständen gelitten.
Teilen weitere Frauen ihr Schicksal?
Die für die Minderheit der Eingeborenen zuständige Ministerin Jane Philpott erklärte in der CBC-Sendung „The Current“: „Wir alle sind dazu verpflichtet, indigenen Patienten eine hochwertige Gesundheitsversorgung frei von Vorurteilen zu ermöglichen. Dazu gehört auch, dass Mediziner entsprechend geschult werden, so wie das von der Wahrheits- und Versöhnungskommission gefordert wurde.“
Doch der Verdacht liegt nahe, dass nach Bekanntwerden der Sammelklage noch weitaus mehr Frauen ihr Schicksal öffentlich machen werden. Oder, wie es die Senatorin Yvonne Boyer formuliert: „Wenn das in Saskatoon passiert ist, dann ist es auch in Regina, dann ist es auch in Winnipeg passiert.“
Fälle von Zwangssterilisation sind in Kanada schon seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannt. In der Provinz Alberta wurde 1928 ein Gesetz „zum Schutz des Genpools“ erlassen, mit dem die Sterilisation geistig Behinderter erlaubt wurde.
So läuft eine Sterilisation ab
Bei der Sterilisation werden die Eileiter der Frau undurchlässig gemacht, so dass Spermie und Eizelle nicht mehr zueinander gelangen können.
Die Eileiter werden entweder über eine Länge von einem Zentimeter elektrisch verödet oder mit einem Kunststoff-Titan-Clip verschlossen. Das geschieht meist durch einen Einstich in der Nähe des Bauchnabels.
Die Sterilisation (500 bis 1000 Euro) gilt als sehr sicher. Maximal zwei von 1000 Frauen werden trotz dieses Eingriffs schwanger (unter Umständen verbinden sich Gebärmutter und Eierstock über neue Wege wieder miteinander).
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