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Mietshäuser Syndikat: Diese WG will ihr Haus kaufen

Kaufen statt Besetzen: Eine Studenten-WG in Nürnberg kämpft gegen die Gentrifizierung, indem sie ihr Wohnhaus vom Markt nimmt. Wie geht das ohne Startkapital?

Das Thema Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit.
ZEIT ONLINE beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Lage auf dem
deutschen Wohnmarkt. Diese Reportage ist Teil der Reihe.   

Wer Anika, Lorenz und ihren vier Mitbewohnern zuhört und dabei die Augen schließt, könnte sie leicht für eine Gruppe Frankfurter Investmentbanker halten. “Wir müssen noch den Vertrag für diesen einen Kreditgeber fertig stellen”, sagt Lorenz. “Oh stimmt!”, sagt Anika. “Und ich hab überprüft, wie viel Geld in der letzten Woche eingegangen ist.” Es geht an diesem Freitagmorgen im Herbst, wie so oft in den letzten Monaten, mal wieder um Kredite, um Renditen und Annuitäten. Treffen ohne die Worte “Bank” und “Anleger”, das gibt es bei ihnen eigentlich nicht mehr. Man kann schon fast das Leder der schicken Stühle eines Frankfurter Konferenzzimmers riechen, sich den Blick auf die Skyline vorstellen.

Wenn man die Augen dann öffnet, sitzen vor einem sechs Nürnberger zwischen 24 und 30 in ihrer WG-Küche, vor ihnen auf dem Tisch die letzten Krümel einer Nussschnecke, die sie zwischen allen aufgeteilt haben, und ein Bierglas, das als Vase umfunktioniert wurde. Fünf tragen Hoodies, einer, Felix, trägt ein pinkes Shirt mit der Aufschrift “Fight Back – Antifa Vol. 3”. An der Haustür hängt ein Schild, auf dem “CSU Verbot jetzt!” steht, an der Küchenwand ein Zitat von Brecht. Frankfurter “Großbanken” mag die WG nicht. Die Idee, die sie hier gerade umsetzen und wegen der sie über Finanzen fachsimpeln, kommt aus der linken Hausbesetzer-Szene. Die Bewohnerinnen wollen ihr Haus kaufen und damit den Mietmarkt von innen umwälzen. Auf der Webseite zu ihrem Projekt nennen sie sich eine “Keimzelle im schwarzen Herzen des bayerischen Molochs”. Nur ist ihr Widerstand gegen Gentrifizierung und steigende Mieten zunächst ein kalkulierbares Zahlenspiel.

Angefangen hat alles vor drei Jahren, hier in einem zweistöckigen buttergelben Haus in Nürnberg. Im Erdgeschoss stehen die Bücherregale einer Bibliothek mit ausschließlich linker Literatur, im ersten und zweiten Stock wohnt die WG. Wenn sie aus dem Küchenfenster hinter der gemütlichen Eckbank blicken, schauen sie auf ihren Hof mit einem baufälligen Hinterhaus, einer Fahrradwerkstatt und einem Obst- und Gemüsegarten. Am Eingangstor hängt ein Holzschild mit der handgemalten grünen Aufschrift Krähengarten. Früher stand im Hof ein alter Kirschbaum, in dem oft Krähen saßen. Der Baum stürzte bei einem Sturm um, aber der Name hat sich gehalten: Die WG nennt sich noch immer Krähengarten, sich selbst als Bewohner die Schnäbel.

Da ist zum Beispiel Lorenz, 27 und Bautechniker, der schon sein Leben lang in WGs wohnt und sich auch nichts anderes vorstellen kann, wenn er selbst mal Kinder hat. Oder Anika, 28, die vielleicht bald ausziehen muss, wenn sie einen Job als Medizintechnikerin in einer anderen Stadt findet. “Aber das gemeinsame Projekt will ich unbedingt noch zu Ende bringen”, sagt sie, und tippt mit einem V aus Zeige- und Mittelfinger auf die Tischplatte, als wollte sie darauf schwören. Denn die Schnäbel beschlossen, damals vor drei Jahren, aus ihrer WG und dem Grundstück drumherum ein Syndikatshaus zu machen.

Das Verruchteste an diesem Projekt ist wohl der Name. Syndikat – wenn einem dieser Begriff überhaupt etwas sagt, hat man Bilder von mexikanischen Drogenbossen wie El Chapo auf Netflix oder von der sizilianischen Mafia vor Augen. Ein Syndikat ist so viel wie ein Kartell, das gemeinsam etwas herstellt oder verkauft. Und solche Kartelle sind in der Wirtschaft seit den 1970ern verboten, weil sie den Wettbewerb der freien Wirtschaft mit Preisabsprachen aushebeln. Seitdem ist in Büchern und Filmen der Begriff stets gleichgesetzt mit kriminellen Machenschaften, von Mafia bis Drogenkartell.

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