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Hate Speech: Fratze des Hasses

“Hass macht hässlich”, hat der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs am 12.
September im Bundestag ausgerufen und in Richtung der AfD-Fraktion hinzugefügt: “Schauen Sie
doch in den Spiegel!”

Das war ein plumper, roher Ausfall, eine massive Grenzüberschreitung, keine Frage. Kahrs
brach die parlamentarische Zivilität, die alle Parteien sonst immer besonders von der AfD
einfordern.

Und doch sagte er einen wahren Satz: Hass macht tatsächlich hässlich.

Hass verwüstet nicht nur das Denken, er verwüstet auch die Gesichter. Er verzerrt die Münder,
entstellt die Züge der Hassenden.

Im Englischen gibt es den Begriff
hate-crazed,
was so viel bedeutet wie:
hassverrückt. Das trifft es. Hass, so heißt es, vertreibe den Menschen aus sich selbst. Wer
hasst, verliert die Kontrolle über sich. Die Gesichter der Hassenden sind wie ein Spiegel
dieses Kontrollverlusts.

Man muss sich nur an das glühende, überhaupt nicht mehr chorknabenhafte Gesicht des Juristen
Brett Kavanaugh erinnern, während seiner Anhörung im US-Senat Ende September, als er sich
gegen den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung verteidigte und um einen Platz im Supreme Court kämpfte: die roten Flecken auf der Haut. Der schiefe Mund. Die zuckenden,
speichelsprühenden Lippen. Es war der Hass eines Mannes, der sich zu Unrecht beschuldigt
wähnt. Der sich als Opfer einer Hetzkampagne fühlt. Und der die Privilegien in Gefahr sieht,
die ihn sein Leben lang begleitet haben.

Oder man denke an die Gesichter der deutschen Fans, die den Nationalspieler Mesut Özil nach
der WM-Niederlage gegen Südkorea im Stadion von Kasan anbrüllten und beleidigten. Oder an das
Verzerrte und Enthemmte in den Gesichtern der Pöbler und Hetzer in Chemnitz.

Es sind die Gesichter des Jahres 2018. Des Jahres der Hetze und des Hasses. Eines Jahres, in
dem der Hass offen zutage getreten ist. Eines Jahres, in dem der Hass Gesichter bekommen
hat.

Vor gerade mal drei Jahren, 2015, schrieb meine Kollegin Elisabeth Raether hier in der
ZEIT

einen langen Text über den Hass. Über ein, wie sie damals formulierte, “längst
überwunden geglaubtes Gefühl”, das “wieder da ist”.

Heute, drei Jahre später, ist das Gefühl fast allgegenwärtig.

Man kann dem
Hass kaum mehr entgehen. Er kommt von links und rechts, er vergiftet Unterhaltungen im Alltag,
er begleitet jeden, der in der Öffentlichkeit steht, Politiker, Prominente, Journalisten. Aber
auch völlig Unbekannte, die nur für einen Moment in den Medien Aufmerksamkeit finden, werden
zu Zielen der Hetze: Über Jörg Sartor, den Leiter der Essener Tafel, der vorübergehend neue
Kundenkarten nur noch an Inhaber eines deutschen Passes ausgeben wollte, ergoss sich im
Frühjahr eine ebensolche Welle an Beschimpfungen, Anfeindungen und Hassmails wie über die
Sparkassenkundin, die vor dem Bundesgerichtshof um eine weibliche Anrede kämpfte.

Das ist auch möglich geworden, weil die sogenannten sozialen Netzwerke dem Hass eine
Plattform geben. Sie sind zu wahren Hassbeschleunigern geworden. Laut einer repräsentativen
Umfrage von Forsa haben 78 Prozent aller Befragten schon einmal Hassbotschaften im Netz
gesehen, bei den 14- bis 24-Jährigen sind es sogar 96 Prozent.

Natürlich gibt es auch weiterhin den gemäßigten Diskurs, den zivilisierten Streit, überall.
Es gibt Vorträge, Podien, Stuhlkreise, es gibt auch das joviale Poltern und Pesten an den
Stammtischen. Es gibt unzählige akademisch gesittete Symposien, viel zu viele langweilige
Konferenzen, denen ein wenig Polemik womöglich mitunter ganz guttäte.

Aber unterhalb dieses wohlgepflegten Austauschs wälzt sich ein Lavastrom der Erregung, der
Emotionen, des entsicherten Geredes. Da ist ein Toben der Extreme. Es herrscht eine kaum
verhohlene Sehnsucht nach Gewalt.

Tatsächlich wird der Hass offener, unverstellter und brutaler. Immer öfter, berichten
Betroffene, kommen hasserfüllte Mails nicht mehr von anonymen Absendern, sondern mit vollem
Namen und Anschrift. “Die Leute geben sich, anders als vor ein paar Jahren, zu erkennen”, sagt
beispielsweise Heiko Maas. Der Außenminister las, neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, im Oktober auf einer Hamburger Theaterbühne aus den zahlreichen Hassmails vor, die er
erhält, seit er in der Öffentlichkeit steht. Auf der Veranstaltung “Chor des Hasses” sagte von
der Leyen: “Die Mails haben sich verändert. Vor zehn Jahren waren es vor allem moralische
Vorwürfe. Zum Beispiel, dass ich eine schlechte Mutter sei. Bei mir wurde es schlimmer, als
ich mich als Familienministerin beim Kampf gegen Kinderpornografie engagiert habe. Seitdem ist
die Sexualisierung stark ausgeprägt. Es gibt kaum eine Hassmail, in der das Wort Fotze nicht
vorkommt.”

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