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Esoterik: Mondsüchtig

Dieser 31. Dezember ist ein denkbar schlechter Tag für eine Party. Miese
Laune ist programmiert, gar mit Depressionen soll zu rechnen sein. Schließlich, so erklärt der
Mondkalender einer österreichischen Frauenzeitschrift, gehe der Erdtrabant an diesem Tag “von
der fröhlichen Waage in den Skorpion” über. Einer Boulevardzeitung zufolge stehe Silvester
hingegen unter dem Einfluss der Waage. Statt eines großen Gelages wäre also Zurückhaltung
angebracht, wie Mondgläubige wissen: Dieses Tierkreiszeichen verwandelt ja alles Fett gleich
in Hüftspeck.

Fast in allen Kulturen spielte der Mond eine mystische Rolle. Während hierzulande der
Einfluss der Religion im 20. Jahrhundert abnahm, stieg der Glaube an die geheimnisvollen
Kräfte des Gestirns. Vor knapp drei Jahrzehnten erreichte diese Überzeugung das breite
Publikum. Für Verlage ist der Mond seitdem ein Dauerseller, in großen Buchhandlungen biegen
sich den ganzen Dezember über Verkaufstische unter der Last von blauen Kalendern mit
leuchtenden Kugeln und Sicheln auf dem Cover. Es gibt Taschen-, Tisch- und Wandkalender,
solche zum Abreißen und andere mit Stickern, die einen speziell für Frauen, die nächsten für
Familien, für Gartenfreunde oder für Abnehmwillige.

Jeder Tag, so erzählen sie, eigne sich gut für das eine und schlecht für das andere. Pickel
ausdrücken oder Fensterputzen, Holzhacken oder Leibesübungen, Angeln gehen oder Medikamente
einnehmen: Halte man sich an den Rhythmus des Mondes, dann gelinge alles besser und müheloser.
Der Grund, so die lunare Lektüre, bestehe neben den Mondphasen – also Voll-, Neu-, zu- und
abnehmender Mond – in den zwölf Tierkreiszeichen, die der Mond durchläuft: “Steht” er in der
Waage, wirke eine andere Kraft als tags darauf, wenn Steinbock “regiert”.

So mythisch das klingen mag, so unerschütterlich hält sich der Glaube an die Kraft des
Himmelskörpers. Auch junge urbane Frauen, die jeden esoterischen Verdacht empört von sich
weisen würden, schielen beim Gang zum Friseur auf den Mondkalender: Vielleicht doch besser
zwei Tage warten, damit die Haarpracht fülliger, gesünder und glänzender wird?

“Ich weiß genau, ich wäre unzufrieden, wenn ich heute die Haare gewaschen hätte”, sagt
Johanna Paungger-Poppe, eine resolute 65-Jährige mit dichtem, dunklem Kopfhaar. Natürlich habe
sie am Morgen mit sich gerungen, es stünden ja Termine an. “Aber Krebs ist das unmöglichste
Zeichen für die Haare”, sagt sie, während ihr Mann Thomas Poppe bedeutungsschwer nickt.

Vor dem Einfamilienhaus des Paares im Innviertel liegt der Neuschnee hoch, der Nebel ist
dicht. Drinnen im weiten Hochparterre breitet sich würziger Räucherduft aus, unten im
Waschkeller stapelt sich Schmutzwäsche. Die will Johanna Paungger-Poppe später in Angriff
nehmen. “So kurz nach Vollmond, da hab ich immer einen riesigen Berg”, erklärt sie, “weil ich
die 14 Tage davor, bei zunehmendem Mond, nur das wasche, was ich unbedingt brauche.” Sei doch
logisch: “Jetzt brauche ich nur halb so viel Waschmittel, damit alles sauber wird.”

Johanna Paungger-Poppe und Thomas Poppe sind das Paar, das den Mondhype vor 27 Jahren
entfacht hat. 1991 erschien ihr erstes Buch
Vom richtigen Zeitpunkt. Die Anwendung des
Mondkalenders im täglichen Leben
.

Die Mutter aller Mondfibeln ist bis heute als
Hardcover erhältlich, wurde in 26 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Auf den
Erstling bauen nicht nur Paungger-Poppes weitere Ratgeber und Kalender auf. Dutzendfach traten
seitdem Himmelsspezialisten auf und geben die Lehre in mehr oder minder modifizierter Form
wieder.

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