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Digital Detox: Der letzte Klick

Dass Sie diesen Artikel lesen, ist womöglich kein gutes Zeichen. Auf dem Handy etwa? Dann haben Sie sich also wieder unterbrechen lassen und zu Ihrem Smartphone gegriffen, wie etwa 50-mal am Tag. Im Schnitt lassen Sie sich alle 20 Minuten von Ihrem Leben ablenken – um Texte wie diesen zu lesen, mal eben Facebook, Twitter, WhatsApp, die Schlagzeilen zu checken oder eine Runde Diddeldaddel zu spielen. Kurz: Wenn Sie noch nicht zu jenen Menschen wie mir gehören, die sich ganz fest vorgenommen haben, künftig weniger Zeit mit ihrem Handy zu verbringen, werden Sie vermutlich bald zu ihnen gehören. Die gute Nachricht: Wir sind viele.

Wir sehnen uns danach, endlich das zu tun, was wir eigentlich tun wollen: beruflich Aufgaben voran und zu Ende zu bringen und uns privat mit den Menschen zu verbinden, die uns lieb und wichtig sind. Auch ich will das. Wie gut würde sich das anfühlen. Stattdessen wache ich auf und lese zuerst im Chat mit meiner Kollegin von einem technischen Fehler in einem Artikel. Sie hat ihn schon behoben, schreibt sie, wolle mich aber rasch informieren. Beim Kaffeemachen plingt eine WhatsApp von meiner Mutter auf. Sie schickt ein Bild und die Frage, ob diese Tasche der Enkelin gefallen könnte. Gleich darunter lese ich die Überschrift zu einer Rezension des neusten Films, der einen Oscar verdient hätte. Dann antwortet meine Mutter auf meine Antwort, wegen der Tasche. Ich muss die aber ungelesen wegdrücken, denn die Tochter will auf dem Handy checken, ob nicht etwa ihre erste Schulstunde ausfällt. Die Nachricht meiner Mutter werde ich also später lesen, in der S-Bahn, wo ich mich eigentlich in die Schlagzeilen vertiefen wollte. Oder ich werde sie vergessen. Dann wird sie in meinem Bewusstsein wie Feinstaub nach unten sinken und zu dem grauen Gefühl beitragen, dass sich inzwischen regelmäßig am Abend einstellt, weil ich wieder zu wenig von dem geschafft habe, was ich eigentlich wollte. Und zu viel Zeit verbracht habe mit … tja, womit eigentlich?

Der Informatiker Alexander Markowetz hat das als Juniorprofessor an der Uni Bonn schon 2015 herausgefunden, indem er sich von 60.000 Menschen die Erlaubnis geholt hat, ihre Nutzungsdaten auszuwerten. Markowetz’ Studie ergab, dass die Probanden durchschnittlich zweieinhalb Stunden am Tag mit ihren Smartphones online waren. Die weitaus meiste Zeit davon, um zu kommunizieren, zum Beispiel über WhatsApp, und sich sozial zu vernetzen auf Facebook oder Instagram. Ein paar Minuten spielten sie auch mit ihrer aktuellen Lieblings-App. Lediglich sieben Minuten nutzten sie das Handy, um damit so etwas Pragmatisch-Praktisches zu tun, wie ein Ticket für die Bahn zu kaufen. Ob und wo Sie in Ihrer Nutzung von diesem Durchschnitt abweichen, können Sie ja seit Kurzem auf Ihrem iPhone selbst sehen.

Natürlich ist das zeitgemäß. Dass ich mir auf dem Smartphone in der S-Bahn in 35 Minuten einen Überblick über die Geschehnisse des Tages verschaffen kann, ist ein Segen, kein Fluch. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit mag verschwimmen, aber darin liegt auch die Chance, die Dinge dort und dann zu tun, wenn es gerade passt. Unsere Arbeitswelt – wie übrigens auch die unserer Freunde – ist flexibler und mobiler geworden. Sie ist zudem schneller, dichter und internationaler geworden. Das bringt die globale Vernetzung der Welt nun mal mit sich. Wir leben mit mehr und rascher aufeinander folgenden Informationen. Stimuli nennen es Neurologen. Das “Pling” des Smartphones ist der Sound dazu.

Stakkato statt Flow

Es setzt mich in Kenntnis über den neuen Infoschnipsel und animiert mich gleichzeitig, selbst welche zu produzieren. Damit bringt mein Smartphone nicht nur mich dazu, ihm Zeit zu widmen. Es bringt auch alle dazu, mit denen ich vernetzt bin. Zu viel Zeit am Smartphone zu verbringen ist keine individuelle Sache, es ist eine kollektive: Wenn ich etwas sende, reagieren andere.

Dem könnte man jetzt entgegenhalten: Selbst wenn wir in Summe zweieinhalb Stunden täglich am Smartphone verbringen, gucken wir stattdessen doch schon lange keine überflüssigen Talkrunden oder noch überflüssigere Realityshows mehr im Fernsehen. Ja, mag sein. Aber das eigentliche Problem mit den Smartphones ist, dass sie uns unterbrechen. Und zwar viel zu häufig. Der Griff zum Handy fragmentiert den Alltag in 20-Minuten-Bruchstücke. Angeblich brauchen wir ganze 15 Minuten, um uns wieder ganz auf das konzentrieren zu können, womit wir vor dem “Ping” und dem Griff zum Handy beschäftigt waren. Wenn wir uns aber zu oft ablenken, anstatt uns mit etwas auseinanderzusetzen, zersplittern wir.

Es gibt einen Euphemismus dafür: Multitasking. Er suggeriert, dass unser Gehirn ähnlich wie Hochleistungsrechner, also Handys, mehrere Prozesse gleichzeitig abwickeln kann. Wenn es dabei jedoch nicht gerade ums Atmen oder Verdauen geht, ist unsere Biomasse schon mit mehr als zwei komplexeren Aufgaben überfordert. Schuld daran tragen die zwei Frontallappen unmittelbar hinter unserer Stirn. Wenn wir einer Aufgabe nachgehen und dann eine zweite hinzukommt, wird Aufgabe A in dem einen Lappen geparkt, während sich Lappen zwei mit Aufgabe B beschäftigt. Wenn wir uns wieder A widmen, switcht das Hirn zurück zu Lappen eins. Das war’s dann eigentlich auch schon mit der menschlichen Multitaskingfähigkeit, die in Wahrheit eben doch nur ein konsekutives Verarbeiten von Aufgabenbröckchen ist.

Kommt eine weitere Aufgabe hinzu, C, müssen die vorläufigen Ergebnisse von A oder B in andere Regionen des Gehirns hochgeladen, also memoriert werden. Das erfordert Zeit und Synapsenaktivität. Häufiges Wechseln zwischen A, B und C macht es nur schlimmer. Unsere zwei Lappen mit anhängender Hirnmasse sind überfordert. Unsere Konzentration lässt rasch nach, unsere Merkfähigkeit sinkt, Ergebnisse werden später ausgespuckt und in minderer Qualität. Dagegen kann man übrigens auch nicht antrainieren. Alles was man üben könne, sagt Markowetz, ist schneller zu Switchen. Aber nicht mal das sei wünschenswert. In seinem Buch Digitaler Burnout beschreibt er ein Experiment, in dem geübte Multitasker und eine Vergleichsgruppe voller Ungeübter Aufgaben parallel erledigen sollten. Das Ergebnis: Diejenigen, die in ihrem Alltag andauernd Multitasking betreiben, erzielten schlechtere Resultate als die Ungeübten. Die konnten besser priorisieren und sich länger konzentrieren.

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