/Schlafstörungen: Auch Erwachsene bräuchten einen Sandmann

Schlafstörungen: Auch Erwachsene bräuchten einen Sandmann

Was wir ein Drittel unseres Lebens machen? Schlafen! Jedenfalls
wenn’s gut läuft. Warum tut der Mensch es überhaupt, wie viele Stunden
sind genug und was hilft, wenn wir abends nicht einschlafen können und
morgens wie gerädert aufwachen? Diesen und weiteren Fragen widmet ZEIT
ONLINE den Schwerpunkt “Besser schlafen”.

Vor dem Schlafengehen schaltet Iris abends den Fernseher ein. Bis ihre Augenlider schwer werden. Dann, mitten in der Nacht, wenn sie aufwacht und der Timer den Fernseher automatisch ausgeschaltet hat, greift sie zur Fernbedienung und macht ihn wieder an, bis sie erneut einschläft. So läuft das jede Nacht. Ohne ihren Fernseher könne sie nicht einschlafen, erzählt sie während eines Workshops der Schlafakademie Berlin.

Das Zentrum bietet Aufklärungskurse und Vorträge für Unternehmen und an Schulen an, damit Menschen wie Iris besser schlafen oder ihre Schlafstörungen in den Griff bekommen können. Iris arbeitet beim Immobiliendienstleister Berlinovo, im Seminar sitzt sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen. Die schmunzeln, als Iris von ihrem allabendlichen Ritual erzählt. Vermutlich erwarten sie wie Iris, dass die Dozentin Thea Herold nun sagt, dass der Fernseher abends ausbleiben sollte. Dass Iris das Gerät lieber gleich ganz aus dem Schlafzimmer verbannen sollte. Doch Herold zuckt mit den Schultern. “Jeder sollte sein persönliches Schlafritual haben, das für ihn oder sie funktioniert.” Es spiele keine Rolle, wie absurd das Ritual für andere Menschen klingen mag. “Hauptsache, es funktioniert”, sagt sie.

Iris könne sich im Gegensatz zu vielen Menschen glücklich schätzen, ein Ritual gefunden zu haben, das ihr beim Einschlafen helfe. Darum geht es bei der Schlafakademie Berlin, die Herold mit der Schlafforscherin und Psychologin Sandra Zimmermann im Jahr 2011 gegründet hat. Ihre Mission ist es, das Bewusstsein für die Bedeutung der nächtlichen Ruhe zu stärken. Denn viele nehmen in einer Zeit, in der wir rund um die Uhr erreichbar sein können, auf ihren Schlaf kaum Rücksicht. Noch immer gilt: Wer viel schläft, ist faul. Das kann für die Gesundheit fatal sein. “Wer gesund leben möchte, denkt meistens an eine gesunde Ernährung und an mehr Bewegung und Sport im Alltag. Dass der Schlaf mindestens genauso wichtig ist, wissen viele nicht”, sagt Thea Herold. Dabei haben 35 Prozent der Deutschen so große Schlafprobleme, dass sie morgens nicht ausgeruht sind und tagsüber mit Müdigkeit kämpfen und sich nur schwer konzentrieren können. 15 Prozent sind fast jede Nacht von Schlafstörungen betroffen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage aus dem Mai 2018, im Auftrag der Initiative Deutschland schläft gesund.

Schlechter Schlaf frisst Energie

Was Menschen nachts wach hält oder sie hochschrecken lässt, kann sehr unterschiedlich sein. Mehr als 80 Diagnosen zu Schlafstörungen gibt es. Dazu zählen etwa Schnarchen, Schlafwandeln, Albträume. Insomnie ist am häufigsten. Wer sie hat, kann meist nicht ein- und durchschlafen, wacht morgens vorzeitig auf und hat Probleme, wieder einzuschlafen. Wer übrigens hin und wieder mal Schwierigkeiten hat, einzuschlafen oder mal eine schlechte Nacht erlebt, hat noch keine Schlafstörung. Schlafforscherinnen wie Sandra Zimmermann stellen die Diagnose nach klinischen Kriterien. Das kann bedeuten, dass Menschen beispielsweise mindestens einen Monat lang dreimal die Woche nachts wach liegen. Dauerhaft schlechter Schlaf frisst Energie. Betroffene sind oft unmotiviert, träge, lustlos und weniger leistungsfähig.

“Es ist wichtig, Leute individuell zu beraten, weil der Schlaf sehr wichtig und intim ist. Vieles möchte man nicht im großen Raum vor anderen Menschen besprechen”, erzählt Zimmermann. Deswegen macht sie Einzelberatungen meist im Anschluss an einen Workshop. Gemeinsam lernen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Gruppe zunächst, was einen gesunden Schlaf überhaupt ausmacht, um anschließend bei Bedarf einen Einzeltermin auszumachen.

“Es ist immer besser, Erkrankungen gar nicht erst entstehen zu lassen und vorzubeugen, weil das leichter ist, als sie zu therapieren”, sagt Zimmermann. “Dazu zählen auch Schlafstörungen.” Deutschland sei in dieser Hinsicht nicht gut aufgestellt. Bundesweit gibt es lediglich 310 akkreditierte Schlaflabore. “Bedenklich ist zudem, dass man mindestens sechs Monate auf einen Termin im Schlaflabor warten muss.” Menschen, die zur Schlafakademie Berlin kommen, kämpfen meist schon monatelang mit nächtlichen Problemen.

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