/Pro/Contra Menschheit: “Jeder von uns darf nur noch einmal im Jahr fliegen”

Pro/Contra Menschheit: “Jeder von uns darf nur noch einmal im Jahr fliegen”

Früher war alles besser. Das sagen laut einer Erhebung der Bertelsmann Stiftung zwei Drittel der Europäer und 61 Prozent der Deutschen. Seltsam. Leben wir doch heute in Frieden und Freiheit. Der Wohlstand war noch nie so groß wie jetzt. Aber heißt das auch zwangsläufig, dass die Welt tatsächlich Jahr für Jahr etwas besser wird? Unsere Redakteure Christian Spiller und Steffen Dobbert haben lange über diese Frage gestritten, auf Facebook, neben dem Fußballplatz und dann beim Bier:

Steffen Dobbert: Ich weiß nicht, ob du es wusstest, aber die Säuglingssterblichkeit ist in den vergangenen 200 Jahren von 44 auf vier Prozent gesunken.

Christian Spiller: Schön.

Dobbert: 2012 lebten nur noch 15 Prozent der Menschen in extremer Armut. 1981, kurz bevor du geboren wurdest, waren es noch 44 Prozent.

Spiller: Stark.

Dobbert: Und die Alphabetisierungsrate! Hat sich in der gleichen Zeit verdoppelt.

Spiller: Toll. Ist aber alles egal. Gerade ist nur eine Zahl wirklich wichtig: Um wie viel Grad sich die Erde erwärmt. Wir zerstören unseren Planeten. Ist der erst mal kaputt, hilft auch kein gestiegener Lebensstandard mehr. In Afrika verhungern also weniger Kinder? Das ist am Ende schnuppe, wenn die Überlebenden später von der Dürre dahingerafft oder in der Sintflut ertrinken werden.

Dobbert: Das nennt man wohl Totschlagargument. 

Spiller: Stell dir vor, du sitzt in einem Auto ohne Bremsen, das auf eine Wand zurast. Du siehst das Ende, aber erzählst mir stolz von den neuen Xenon-Scheinwerfern und dem elektronischen Einparkassistenten. Ist ja nett, bringt nur nichts, wenn das Ding gegen die Wand fährt.

Dobbert: Elektroautos haben auch eine Knautschzone. Und sie können helfen, die Erde zu retten. Bis 2030 sollen in der ganzen EU mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgase verursacht werden als 1990. Ab 2020 soll es in Tübingen eine Verpackungssteuer auf Pizzakartons, Nudelboxen und Kaffeebecher geben.

Spiller: Ach komm, reicht doch alles nicht.

Dobbert: Setz dich doch mal in ein E-Auto und fahr durchs Ruhrgebiet. Dorthin, wo vor einigen Jahrzehnten der Bergbau die Landschaft zerstört und die Natur vergiftet hat. Da, wo die Bergarbeiter einst unter Tage malochen mussten, sind heute Parks, Radwege und Wälder. Die Leute haben begriffen, dass der Kohleabbau ihnen und der Erde schadet.

Christian Spiller wuchs in Südostbrandenburg auf und arbeitet bei ZEIT
ONLINE als Sportredakteur. Er studierte Betriebswirtschaftslehre. Dass
die Welt wunderschön ist, glaubt er auch. Nur wie lange noch?

© Jakob Börner

Spiller: Ein paar Bäume mehr sind doch lächerlich. Ich hab’s nachgelesen: Es gibt heute nicht mal mehr halb so viele Wirbeltiere wie vor 40 Jahren. Und: Wir haben immer mehr Menschen und immer weniger Bienen. Wir müssten also unsere Lebensweise komplett umstellen. Sofort. Und so radikal, dass es den Menschen nicht mehr zu vermitteln ist. Politiker müssten sagen: Okay, hört zu, jeder von uns darf nur noch einmal im Jahr fliegen. Jeder darf nur noch ein Auto fahren, wenn mindestens drei Leute drinsitzen. Fleisch gibt es auch nur noch alle zwei Wochen. Aber dann gäbe es einen Bürgerkrieg.

Dobbert: Vielleicht verzichten die Leute auch, weil sie einsehen, dass es nötig ist. Wenn ich heut’ aufs fünfte Bier verzichte, geht’s mir morgen besser. Und schau doch mal, wie viele Windräder mittlerweile Strom liefern. Sogar Maschinen, die Plastikmüll aus den Meeren fischen, sind bereits erfunden. Plastiktüten werden in der EU immer weniger. In Kenia wurden sie in Supermärkten ganz verboten.

Spiller: Selbst Deutschland, das die Energiewende vorangetrieben hat, erreicht seine CO2-Ziele nicht.

Dobbert: Noch nicht. So, wie wir uns seit Hunderten Jahren gewandelt haben, werden wir das wieder tun, damit die Erde nicht untergeht. Kennst du ein Säugetier, dass sich besser seiner Umwelt anpassen kann als der Mensch?

Spiller: Dass du darüber nicht selbst lachen musst. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das diesen Planeten zerstört.

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