/Klimawandel: Mehr Druck, mehr Verbote!

Klimawandel: Mehr Druck, mehr Verbote!

Wer im Sommer aus dem Fenster sah, der spürte es: Die
Klimakatastrophe kommt nicht, sie ist da. Und Schuld? Sind wir alle. Auch ich,
soviel Ehrlichkeit muss sein. Würde das Gros der Menschheit meinen Lebensstil
im Herzen einer deutschen Großstadt kopieren, die Erde hätte sich längst um
mehr als zwei Grad erwärmt. Und das, obwohl ich vegetarischer Radfahrer mit
Palmölphobie, Vintagehandy, einem Umwelttick bin, der mich lieber aus Pfützen denn aus Einwegplastik trinken ließe. Meine Frau meint schon, ich werde kauzig. Mag
sein. Aber Käuze wie ich müssen allein 6,3 Milliarden Dosen Red Bull
kompensieren, deren Produktion dafür mitverantwortlich ist, dass es kaum noch
Pfützen gibt.

Man darf mich gern als
Kauz bezeichnen. Als was ich mich hingegen nicht mehr bezeichnen lasse: missionarisch. Seit einem Kurztrip in den (Mitte der Neunziger noch
masochistischen) Veganismus habe ich mir das Predigen nämlich abgewöhnt.
Schlachtlaute im Grillimbiss wirkten schon damals destruktiv. Mein Freund Christoph
zum Beispiel hat auf meine Tierwohlmahnungen hin nur ein zweites Big Meal geordert.
Weil Druck bloß Gegendruck erzeugt, moralisiere ich kaum noch und falls doch,
verständnisvoll. Vorleben statt verbieten, lautet die Devise. Und immer schön
freundlich. Erzählt mir mal wieder jemand im Bekanntenkreis, er äße echt nur noch voll selten Fleisch, erwidere ich aufmunternd: “Wenn alle wären wie du, hätten wir kein Klimaproblem.” Das ist zwar gelogen, aber
ich kann dazu sehr glaubhaft lächeln.

Doch jetzt ist Schluss mit der
Demutsroutine. Die Katastrophe beginnt ja bereits im Kleinen, jeder weiß es, aber wer ändert deshalb wirklich seinen bequemen Lebenswandel? Auch mein CO2-Fußabdruck
ist desaströs. Mein Faible für Hartkäse emittiert wie das für Schokolade oder
O-Saft Schadstoffe fern des planetarisch Erträglichen. Und vier Flugreisen pro Jahr
heizen den Globus auch dann auf, wenn sie beruflich sind. Oder nehmen
wir Bäckertüten. Wie viele davon benutzt werden, zählt nicht mal der
Fachverband. Da sich die mobile Gesellschaft jeden Snack einzeln verpacken
lässt, summieren sich einige Gramm auf enorme Tonnagen. Gleiches
gilt für Kunststoff
. Einzeln wiegt erdölbasiertes Gebinde wenig, pro
Kopf werden es in Deutschland 25 Kilo – und da ist vom virulenten coffee to go noch gar nicht die Rede, dessen Becher bundesweit
320.000-mal in den Müll wandert. Pro Stunde.

Globale Probleme haben lokale Ursachen. Deshalb hole ich zum Beispiel mein Mittagessen an der Salatbar ums
Eck in der Mehrwegschale. Plaste gespart, Bargeld auch – so mache ich das seit
Jahren. Wortlos, versteht sich. Vorleben statt verbieten. Kürzlich aber habe ich
den Besitzer gefragt, wer außer mir sein Grünzeug sonst so eintuppert. Die Antwort,
entgeisterter Blick inklusive: Niemand! Genauso lief es beim Kiosk nebenan. Seit ich 2005 hierher gezogen bin, kaufe ich die Brötchen dort im Stoffbeutel, den ich
zwar waschen, aber nie wechseln muss. Auch hier die Nachahmerfrage, auch hier
das Antwortstaunen: Nullkommanull. Ähnliche Befunde am Bahnhof:
Außer mir bringt niemand seinen Kaffeebecher mit, und wer es mal mit
diesen fancy Reisecups versucht, wird enttäuscht. Passen leider nicht unter die
Maschine, sagt der Barista.

Was ich sagen will: Zurückhaltendes Bessermachen ist
gescheitert – und das sehr nachhaltig. 1972, Willy war noch Kanzler, hat der Club of Rome
“Die Grenzen des Wachstums” verkündet, also Verzicht gefordert. 2018, im
heißesten Jahr der Historie
, werden weltweit eine Billion Plastiktüten
verbraucht, die mitverantwortlich für den höchsten CO2-Ausstoß seit Beginn
der Messungen sind.

Ausgerechnet jetzt, da sich die
Leugnung des Klimawandels auf ein versprengtes, aber lautes Häufchen
Rechter beschränkt, steigen die Emissionen auf ein Rekordhoch. Und was
waren die Aufreger 2018? Flüchtlinge, Fußball, Sommerzeit – im Gegensatz zur
Erderwärmung Aufgaben von aufreizender Lösbarkeit. Es ist wie die Feuerzangenbowle in Endlosschleife:
Während die Bombeneinschläge im Vernichtungskrieg des Konsumismus gegen den
Planeten näherrücken, sediert sich dessen Bevölkerung mehrheitlich mit Streitigkeiten über Dieselfahrverboten. Und da sollen Aufgeweckte zwar
Vorbilder sein, aber die Klappe halten, wie der Kollege Michael Allmaier rät?

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