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Junge Menschen: Wir sind Helden

Acht junge Menschen, die sich in diesem Jahr mit den Umständen nicht abgefunden haben

Der Demonstrant

Emil Rustige ruft zum Protest gegen Handy-Eltern auf

Erwachsene sorgen sich über den Smartphone-Konsum ihrer Kinder. Und sind selbst schlechte
Vorbilder, findet Emil Rustige. Deshalb organisierte der Siebenjährige eine Demonstration.
Das Ziel: Eltern sollen sich mehr um ihre Kinder kümmern – und weniger um ihre
Handys.

Junge Menschen:

Emil Rustige
© Roman Pawlowski für DIE ZEIT

Als alle Erwachsenen in der U-Bahn nur noch auf ihre Smartphones starrten, wurde mir klar:
Jetzt reicht’s, ich muss etwas unternehmen!

Ich bin sieben Jahre alt. Was eine Demonstration ist, weiß ich. Meine Eltern haben mich Ende
Mai zum “Lauf gegen Rechts” an der Alster mitgenommen. Da habe ich gelernt, dass jeder was
gegen Dinge tun kann, die ihn stören. In meinem Fall, dass meine Eltern ständig von ihrem
Handy abgelenkt werden. Einmal in der Küche wollte ich, dass meine Mutter mir ein Butterbrot
schmiert, aber sie hatte schon wieder das Smartphone in der Hand. Da reichte es mir. Wieso
kann man das Klingeln nicht einfach mal ignorieren? Ich war mir sicher, dass es anderen
Kindern auch so geht.

Deswegen habe ich meinen Eltern erzählt, dass ich eine Demonstration dagegen starten möchte.
Sie haben mir überraschenderweise sofort zugestimmt, obwohl sich die Demonstration ja gegen
ihr Verhalten richtet. Aber sie sagten, sie würden das Thema wichtig finden. Deswegen haben
sie mir geholfen, die Aktion bei der Polizei anzumelden. Am Ende waren 70 Kinder mit ihren
Eltern da. Sie haben Schilder in die Luft gehalten, auf denen stand “Flugmodus an! Jetzt sind
wir dran!” oder “Wir sind laut, weil ihr immer aufs Handy schaut”. Ich saß auf den Schultern
von meinem Vater und habe eine Rede gehalten. Mit einem Megafon in der Hand. Ich war sehr
nervös und habe gesagt, wieso wir hier demonstrieren. Dann habe ich noch die Route erklärt.
Als ich fertig war, haben die Menschen gejubelt und sind losmarschiert. Das hat sich gut
angefühlt.

Ein paar Tage später meldeten sich plötzlich ganz viele Journalisten, sogar aus Ländern wie
Portugal, Bulgarien oder Großbritannien. Alle wollten mit mir sprechen. Das kam für meine
Eltern überraschend. Für mich nicht. Das Thema ist schließlich wichtig. Sonst hätte ich diese
Demonstration ja nicht geplant. Viele glauben, dass ich selbst ganz viel auf das Smartphone
schauen würde, wenn ich eins hätte. Das stimmt aber nicht. Ich will gerade gar keines, selbst
wenn manche Kinder, die ich kenne, schon eines haben. Ich finde, dass ich noch zu klein bin.
Mir ist es wichtiger, dass die Menschen was zusammen machen. Meine Eltern schalten seit der
Demonstration ihre Handys häufiger stumm, wenn wir spielen oder essen.

Für mich hat sich die Demo gelohnt. Vielleicht starte ich mal wieder eine. Wenn mich was
anderes stört. Oder wenn Erwachsene in zwei Jahren immer noch lieber mit ihrem Handy spielen
als mit ihren Kindern.
Aufgezeichnet von Nadia Riaz

Die Erklärerin

Mai Thi Nguyen-Kim macht Wissenschaft populär

Plötzlich war da diese junge Chemikerin mit Doktortitel und Humor. Hunderttausendfach
wurden die YouTube-Videos angeschaut, die Mai Thi Nguyen-Kim drehte. Ihre “maiLab”-Videos
zeigen, wie Wissenschaft in Zeiten schamloser Lügen begeistern kann. Die 31-Jährige
moderiert nun im WDR die Wissenschaftssendung “Quarks”.

Angeblich ist ja die Wahrheit im Niedergang. Ich erlebe eher das Gegenteil. Unsere
Gesellschaft ist faktenbesessen. Kaum verstricke ich mich in eine Diskussion, heißt es: Wo ist
deine Quelle? Kann ich diese Fakten liefern, verschwindet auch das Misstrauen gegenüber der
Wissenschaft, von dem so viel die Rede ist.

Vor ein paar Jahren saß ich noch als Doktorandin im Labor und habe begonnen,
Wissenschaftsfilme für YouTube zu produzieren. Kurze, lustige Videos. Ich dachte: Warum sieht
man Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich immer nur vor Bücherregalen? Was sind
das für Menschen? Haben die auch Hobbys? Oder gar Freunde? Ich wollte der Wissenschaft ein
menschlicheres Gesicht geben.

Ich habe schnell gemerkt, dass in den sozialen Medien viel mehr geht als nur Lifestyle.
Nämlich auch Chemie, Physik, richtig harte Forschung. Ständig wird beklagt, dass es in den
Naturwissenschaften nicht genügend Frauen gibt, sich Mädchen für solche Themen nicht
interessieren. Auch das stimmt nicht: Die Hälfte meiner 13- bis 17-jährigen Zuschauer ist
weiblich. Mein YouTube-Kanal maiLab hat inzwischen 190.000 Abonnenten. Für die bin ich eine
Art Influencerin der Wissenschaft. Meine Bühne wurde dieses Jahr immer größer. Plötzlich
sollte ich im Fernsehen auftreten, ein Verlag wollte ein Buch, ich habe Preise bekommen.

Es gibt eine Sehnsucht nach Menschen, die gut vermitteln können. Davon profitiere ich. Dass
die Bundesbildungsministerin jetzt offiziell die Wissenschaftskommunikation fördern will, ist
sinnvoll. Aber es ärgert mich, wenn sie so tut, als könnte das jeder. Als müsste man nur mal
eben seine Arbeit erklären. Komplexe Grundlagenforschung in einen gut verständlichen Text oder
ein fünfminütiges Video zu verwandeln, kostet Zeit und Kopfzerbrechen – man muss wissen, wohin
man den Scheinwerfer richtet und wann man ihn wieder ausschaltet.

Am besten erreicht man Menschen über Emotionen oder Humor, doch die muss man in der
Wissenschaft erst mal finden. Man muss sich fragen: Was begeistert mich an meiner Arbeit? Was
frustriert mich? Wenn ich das vermitteln kann, hilft das bei den harten Fakten. Man braucht
auch Mut, denn akademische Institutionen sind sehr konservativ und behäbig, als junge
YouTuberin fällt man da sofort auf.

Mich reißt der Medienrummel ganz schön mit. Ich versuche trotzdem, den Kontakt zu halten mit
denen, die forschen. Das ist die Welt, aus der ich komme und die ich meinem Publikum
nahebringen will: damit es sieht, dass man der Wissenschaft vertrauen kann.
Aufgezeichnet von Anna-Lena Scholz

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