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Fußballjahr 2018: Menschen, die um Fassung ringen

“Zum Takt des erhabenen Liedes – siehst du an deine Füße beide Meere brausen”, singen
inbrünstig die Nationalspieler Panamas auf dem großen Monitor, den Text der Hymne ihres Landes
vom berühmten Kanal –
Himno Istmeño,
die “Isthmus-Hymne”. Zum allerersten Mal spielt
die kleine Nation von vier Millionen Einwohnern bei einer Fußball-WM mit, es ist der Moment
vor der ersten Partie gegen Belgien. Gut 11.000 Kilometer vom Spielort Sotschi entfernt, in
einem Fernsehstudio des Senders RPC in Panama-Stadt, stehen zwei Moderatoren vor dem Monitor
mit der singenden Mannschaft, in dunklen Anzügen wie zur Hochzeit; ergriffen die Fäuste
ballend der eine namens David Samudio Garay. Sie sind noch nicht auf Sendung, der etwas
korpulentere Kollege Miguel Ángel Remón hat den Kopf an die Wand gelehnt, jetzt fängt ihn die
Kamera ein. Eine Flut von Tränen ist ihm in die Augen geschossen, Garay boxt ihm teilnahmsvoll
auf die Schulter. Sie umarmen sich aufgewühlt, noch immer hört man die Hymne: “Vorwärts mit
Pike und Spaten!” Remón, der die Bilder später ohne Scham ins Netz stellen wird, wirft
zitternd den Kopf in den Nacken.
“Viva Panamá!”,
ruft er schließlich überwältigt.
Zwei weinende Männer im Anzug repräsentieren die ganze Vorfreude und den Stolz eines Landes.
Es sind Bilder, die zeigen, warum Turniere für Nationalmannschaften heute noch Sinn haben,
korrupte Funktionäre hin, gierige Verbände her, trotz Erdoğan und seiner Trikotsammlung von
Spielern, die er für seine Zwecke vereinnahmt. Turniere, die groß genug sind, damit vergnügte
Natiönchen debütieren können. Die aber nicht zu groß werden dürfen, damit eine Qualifikation
zur Teilnahme noch so einzigartig bleibt.
Jörg Kramer

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