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Reporter: Wahres schön schreiben

Wie steht es um das Genre der Reportage nach dem Betrug von Claas
Relotius? Vier Autoren haben darüber nachgedacht: die Reporter Wolfgang Bauer und Malte Henk von der ZEIT, die freie Reporterin Alexandra Rojkov und der Autor Konstantin Richter.

Als ich 18 Jahre alt war, fragte mich ein Typ auf einer
Party, was ich in meiner Freizeit tue. Ich antwortete: “Ich schreibe.” Seit ich
ein Teenager bin, fülle ich Kladden und Word-Dokumente mit Gedanken und
Beobachtungen. Durch das Schreiben ordne und verstehe ich die Welt.

Ich wollte das Schreiben zu meinem Beruf machen. Zur
Schriftstellerin fehlte mir eine entscheidende Eigenschaft: Fantasie. Also
wurde ich Journalistin.

Heute gehöre ich zu denen, die man im Journalismus
“Schönschreiber” nennt: Reporter, die lange, fast literarische Texte
produzieren. Auch der Spiegel-Reporter Claas Relotius hat solche Artikel verfasst. Meist
recherchierte er im Ausland, oft war er allein unterwegs. Genau wie ich. Und
wie Relotius hat auch mir ein Journalistenpreis viele Türen geöffnet: Ich habe
2015 den CNN Journalist Award gewonnen, ein Jahr nach ihm.

Seit bekannt wurde, dass Relotius einen Teil seiner
Recherchen erfand
, lastet auf Reportern wie mir ein Verdacht: Ihr übertreibt in
euren Texten und schmückt sie aus, weil ihr euch davon Renommee und Journalistenpreise
versprecht. “Die
gute Geschichte, die richtige Zuspitzung oder die steile These scheint im
Zweifel manchmal wichtiger zu sein als Fakten und journalistische Fairness”,
schreibt die
taz
.

Ich will nicht abstreiten, dass es Fälle gibt, in denen sich
Reporter die Wahrheit zurechtbiegen oder Dinge einfacher darstellen, als sie in
Wirklichkeit sind. Aber die meisten arbeiten sauber und verdichten ihre
Geschichte nur so weit, wie es nötig ist, um sie verständlich und nahbar zu
erzählen. Dass wir erzählen, statt sachlich zu berichten, heißt nicht, dass wir
lügen. Nicht jede schöne Formulierung
beruht auf einem Schwindel.

Gerade weil eine Reportage von Details lebt, dokumentieren
viele Reporter ihre Arbeit akribisch. Ich fotografiere jede Kleinigkeit, die
mir während der Recherche relevant erscheint. Wenn ich kann, zeichne ich ein
Interview mit zwei Handys auf, falls eine Aufnahme nicht klappt. Und ich
protokolliere jede Befragung mit Tag und Gesprächssituation, um später nicht
durcheinanderzukommen, wer wann was gesagt hat.

Bestimmt mache ich trotzdem Fehler: ordne Zitate falsch zu,
irre mich in einer Beschreibung. Und am Anfang meines Berufslebens war ich
weniger gründlich, als ich heute arbeite. Aber wenn mir eine Information fehlt,
würde ich sie nie erfinden. Stattdessen nerve ich Protagonisten oft mit dem
zehnten Anruf, weil ich eine Kleinigkeit erfragen will. So wie alle Reporter,
die ich kenne.

Für viele sogenannte “Schönschreiber” ist die Phase der
Recherche viel wichtiger als das Schreiben selbst. Sie führen tagelange
Interviews, lassen sich Ereignisse oder Biografien im Detail erzählen. Für
freie Reporter wie mich, die pauschal für einen Artikel bezahlt werden, lohnt sich der Aufwand
selten. Auch das tagelange Aufschreiben, Basteln und Feilen am Text ergibt
finanziell wenig Sinn. Ich tue es trotzdem jedes Mal.

Ich will dafür kein Mitleid: Ich habe mir diese Art zu
arbeiten selbst ausgesucht, und ich tue es gern. Es berührt mich, meinen Protagonisten so nahezukommen. Manche erzählen mir bei der Recherche Dinge, die nur ihre besten
Freunde wissen. Das aufschreiben zu dürfen, empfinde ich als Privileg.

Und ich weiß, dass es auch andere Menschen berührt: Auf
manche meiner Texte hin melden sich Leserinnen und Leser, die den Protagonisten helfen oder
ihnen etwas ausrichten wollen. Meine Arbeit mag weniger unmittelbare Folgen
haben als eine investigative Recherche. Aber auch sie hat eine Berechtigung.

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