/Feuerwerkskörper: Böllern ist sinnlos und deshalb toll

Feuerwerkskörper: Böllern ist sinnlos und deshalb toll

Eine Mehrheit der Bundesbürger wünscht sich einer Umfrage zufolge Feuerwerksverbote in deutschen Innenstädten. Fast 60 Prozent
von mehr als 5.000 Befragten sprachen sich für einen solchen Böller-Bann
aus, wie das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag der
Funke-Mediengruppe herausfand. Wie vernünftig. Und wie langweilig. 

Böllern ist banaler Zeitvertreib. Mal kurz den vernünftigen Stimmen im Kopf entkommen
und etwas Blödes machen. Kurz nach zwölf: der beißende Geruch des Schwarzpulvers in der Nase, feurige Kugeln, die durch den Nachthimmel surren, ein zarter Feuerregen,
links und rechts die Straße runter schießen Fontänen, Vulkane und Sonnen aus
dem Boden. Was für ein Spektakel. Schade für alle, die das Feuerwerk
nicht verstehen.

Die melden sich jedes Jahr um diese Zeit: Böllern ist teuer. Abgesprengte Finger, der Müll und noch dazu der Feinstaub. Privates Feuerwerk, so argumentieren viele, gehöre verboten. Dabei liegt genau darin der Reiz. Böllern ist Verschwendung, Gefahr und ganz und gar unvernünftig. Aber Gesellschaften brauchen solche Rationalitätslöcher.

Hat man erst mal die Taschen voller Böller

Es ist einer der besten Momente des ganzen Jahres: kurz nach Weihnachten,
wenn man der Familie entflieht und Böller kaufen fährt. Meist in einem umgebauten Getränkehandel im Industriegebiet
liegen sie aufgebahrt: Knallfrösche,
Kanonenschläge, Knallketten, bengalische Feuer, Blackbox
Bombenraketen, Feuerwerkbatterien. Die Raketen in der Verpackung leuchten bunt,
wie das Federkleid eines Pfaus. Weiter hinten im Laden der Klassiker der Pyrotechnik: Chinaböller D mit
grauer Lunte. Knallende neigen zum Expertentum und lieben den Vergleich – je nach
Anwendungsgebiet und gewünschter Sprengkraft können sie in den Klassen wählen. Bei A geht es los. Böller
kauft man wie Kleingeld in Papierhülsen verpackt. Bei den D-Böllern sind immer vier
Stück in einer Verpackung.

Hat man erst mal die Taschen voller Böller, steigt die Anzahl möglicher
Tagesaktivitäten. Die Langeweile zwischen den Jahren führte in der
Kindheit dazu, dass man auf der BMX-Bahn nebenan versuchte, herauszufinden, wie
weit Hundehaufen fliegen können. Erst einmal angefangen, wächst die eigene Kreativität im selben Maße wie der Menschenverstand schwindet.

Wie toll sich mutwillige Zerstörung anfühlen kann! Welche Aufregung
es ist, eigenmächtig ein Schwarzpulvergemisch in die Luft zu jagen. Fast unglaublich, dass es für so viel Spaß in dieser durchregulierten Safety-First-Gesellschaft noch Raum gibt. Wenn man den Kopf voller belastender Gedanken hat, hilft nichts so gut wie der Knall eines D-Böllers, um
sich davon zu befreien. Mit dem Feuerzeug an der Lunte für einen kurzen Moment
den Boden des Rationalen verlassen, wie bei einem guten Weihnachtsfilm mit
Chevy Chase.

Für einen Augenblick öffnet sich die Pforte ins Chaos

Zwischen den ganzen sinnvollen Investitionen ins eigene Leben ist Pyrotechnik
die heilsame Unterbrechung. KNALL, KNARZ, PENG, RADAU, ein paar Funken,
Rauchschwaden und dann nichts. Alles für einen kurzen Moment Ekstase.
Für einen Augenblick öffnet sich die Pforte ins Chaos. Wenn diese
Erfahrung zum Ende des Jahres kollektiv erlebt wird, kanalisiert
sich eine gute Portion Aggression und Destruktivität, die der Mensch mit
sich herumträgt. Bevor man sich an der Hecke oder den Haustieren des Nachbarn
vergeht, in der U-Bahn schubst und im Berufsverkehr drängelt, lieber mal ein paar Böller in die Luft jagen und gereinigt das
neue Jahr begehen.

Wer Böllern verbieten will, verkennt das Feuerwerk als
darstellende Kunst. Ab Mitternacht entfaltet sich in der Silvesternacht ein
niedrigschwelliges Kulturangebot, an dem sich die halbe Stadt beteiligt. Die
Tradition dieser Kunstform reicht weit zurück: Im späten 14.
Jahrhundert entwickelte sich in Italien der Einsatz von Knallkörpern
zu einer eigenständigen Feuerwerkskunst. 

Wenn sich an Silvester langsam die Feiergesellschaft bereit macht, um vor
die Tür zu treten, wo die Nachbarn schon Weinflaschen in Position bringen, dann geht das
Jahr in einem taumelnden Rausch, einer dionysischen Unordnung, zu Ende. Erst danach kann der erste Morgen des neuen Jahrs über der verwüsteten Stadt
hereinbrechen. Nach einem Spaziergang durch das, was einem Kriegsgebiet gleicht, hat man erst das
Gefühl, das Jahr hinter sich gelassen zu haben. Der Müll wird beiseite geräumt,
damit etwas Neues beginnen kann.

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