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Tsunami in Indonesien: “Es gab keine Warnung. Das macht mich sehr betroffen”

Wieder töteten Flutwellen Hunderte. Da die Ursache kein simples starkes Beben war, schlug das Frühwarnsystem nicht an. Einer der Entwickler über die Grenzen der Technik

25. Dezember 2018, 15:40 Uhr

Tsunami Indonesien Java Villa Stephanie Flutwellen

24. Dezember im Westen der Insel Java, zwei Tage nachdem Flutwellen die Küste getroffen haben. Retter suchen nach Überlebenden und Toten unter den Trümmern der Villa Stephanie, einem kleinen Ferienresort, das direkt am Wasser stand.
© Adek Berry/AFP/Getty Images

Wieder passierte es in der Weihnachtszeit und wieder ohne Vorwarnung für die Menschen: Flutwellen haben am Samstag gegen 21.30 Uhr Ortszeit Küsten der Inseln Java und Sumatra an der Sundastraße getroffen, rund 430 Indonesier und Indonesierinnen in den Tod gerissen – 1.500 wurden verletzt, viele werden noch vermisst. Vier Jahre nach der Tsunamikatastrophe von 2004, durch die rund 230.000 Menschen ums Leben kamen, ging ein mit deutscher Beteiligung entwickeltes Frühwarnsystem an den Start. Warum schlug es nicht an? Darüber haben wir mit Jörn Lauterjung vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) gesprochen. Er hat die Technik mitentwickelt.

ZEIT ONLINE:Indonesiens Frühwarnsystem soll Alarm schlagen, sobald ein Erdbeben oder Seebeben registriert wird, das gefährliche Flutwellen, Tsunamis also, auslösen kann. Bleibt genug Zeit, bis das aufgewühlte Meerwasser an Land trifft, können Menschen sich noch in Sicherheit bringen. So die Idee. Doch am vergangenen Samstag wurden sie wieder von tödlichen Wellen überrascht. War die Technik kaputt?

Tsunami in Indonesien: "Es gab keine Warnung. Das macht mich sehr betroffen."

Jörn Lauterjung ist Direktor für Daten-, Informations- und IT-Dienste am GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) und Co-Direktor des Zentralasiatischen Instituts für angewandte Geowissenschaften. Er war als Projektkoordinator an der Entwicklung des indonesischen Tsunamifrühwarnsystems beteiligt.
© privat

Jörn Lauterjung: Nein, das Frühwarnsystem war nicht kaputt. Aber diesmal hat ein Hangrutsch unter Wasser nach einem Vulkanausbruch die Flutwellen ausgelöst. Und auf so eine besondere Ursache ist das System nicht ausgelegt. Es schlägt bei starken klassischen Erd- oder Seebeben an, die mindestens eine Magnitude von 7.0 erreichen. 90 Prozent aller Tsunamifälle weltweit und in Indonesien gehen auf sie zurück. Die Ursache diesmal war aber tragischerweise eine Verkettung aus einem Vulkanausbruch, einem Unterwassererdrutsch und diverser weiterer Faktoren. Es gab keine Warnung. Das macht mich sehr betroffen. Und auch, dass wieder um die Weihnachtszeit Menschen durch einen Tsunami getötet wurden.

ZEIT ONLINE: Aber es gab doch trotz allem eine Erschütterung, die das Meerwasser aufgewühlt hat. Merken die Messstationen das denn nicht?

Lauterjung: Doch. Das Frühwarnsystem hat auch durchaus Daten von dem Event aufgezeichnet. Es registrierte eine seismische Aktivität von 5.1 – nur löste das eben keinen Tsunamialarm aus. Anhand der Messdaten kann das computergestützte System eine Erschütterung von einem Hangrutsch oder Vulkanausbruch nicht von einem Erd- oder Seebeben unterscheiden.

ZEIT ONLINE: Zwischen der Anregung des Tsunamis unter Wasser und dem Auftreffen erster Flutwellen an der Küste vergingen nur 24 Minuten. Wo genau kamen die Wellen an und wie hoch waren sie?

Lauterjung: Der Tsunami wurde in der gesamten Sundastraße gemessen, also entlang der Meeresstraße zwischen Sumatra und Java. Uns liegen insgesamt vier Pegelmessungen vor, die zwischen 30 und 90 Zentimeter liegen. Es werden von einigen Küstenabschnitten aber Wellenhöhen von 2,5 bis zu 3 Metern gemeldet, die durch lokale Verstärkungsfaktoren erzeugt werden können, also etwa eine spezielle Topografie des Meeresbodens oder besondere Küstenformen. Außerdem war Vollmond und dadurch eine besonders hohe Tide.

ZEIT ONLINE: Aber könnte man das Frühwarnsystem nicht so programmieren, dass es all diese Faktoren einrechnet und auch erkennt, wenn ein Tsunami von einem Hangrutsch ausgelöst wird?

Lauterjung: Das ist eben leider extrem schwierig und erfordert einen erheblichen Aufwand an Instrumentierung. Es ist auch keine Hilfe, das Frühwarnsystem “empfindlicher” einzustellen, das heißt den Schwellwert für seismische Ereignisse herunterzusetzen, denn Erdbeben der Magnitude 4 bis 5 passieren fast täglich in Indonesien. Diese Maßnahme würde dann zu einer sehr großen Anzahl von Fehlalarmen führen.

ZEIT ONLINE: Bei früheren Tsunamis gab es auch häufig natürliche Warnzeichen: Das Meerwasser an den Stränden zog sich weit zurück, bevor die riesige Flut heranrollte, Tiere flohen Minuten vor dem Auftreffen des Wassers. Merkten die Menschen diesmal denn nichts?

Lauterjung: Nein, das war besonders tückisch an diesem Ereignis. Es gab keine der üblichen natürlichen Warnzeichen – nicht mal ein starkes Erdbeben, das über eine gewisse Zeitdauer gespürt werden konnte.

ZEIT ONLINE: Die Tsunamiereignisse mit tödlichen Folgen scheinen sich in letzter Zeit zu häufen. Vor allem in Indonesien. Ist das nur ein subjektiver Eindruck oder gibt es dazu Statistiken? Und könnte hierbei der Klimawandel einen verstärkenden Effekt haben – etwa durch steigende Meeresspiegel?

Lauterjung: Das ist wohl ein subjektiver Eindruck, der auch durch ein größeres Medieninteresse an solchen Ereignissen seit der Tsunamikatastrophe von 2004 verstärkt wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich auch hier wieder (genau wie in Sulawesi vor einigen Wochen) um einen lokalen Tsunami handelt. Das soll jetzt kein Kleinreden des katastrophalen Ereignisses sein, aber so etwas hat es schon vor 2004 mit vergleichbarer Häufigkeit gegeben, nur wurde darüber nicht berichtet. Die eigentliche Ursache aller dieser Phänomene ist die Plattentektonik. Indonesien liegt auf einer besonders aktiven plattentektonischen Zone. Das hat nichts mit dem steigenden Meeresspiegel oder anderen Folgen des Klimawandels zu tun.

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