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Rechtsstaat: Politiker als Richter?

Immer wieder erzeugen schnelle Wechsel von Spitzenpolitikern in andere Ämter Misstrauen, vor allem wenn es um die Wirtschaft geht. Aber wie sieht es bei einem Wechsel an ein Gericht aus? Der Fall des CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbath zeigt: Viele Bürgerinnen und Bürger zweifeln daran, ob jemand so schnell vom parteiischen Politiker zum unparteiischen Richter werden kann. Der Rechtswissenschaftler Volker Böhme-Neßler kann den Argwohn nachvollziehen. Im Gastbeitrag erklärt er, warum so ein Wechsel kritisch für die Demokratie und den Rechtsstaat ist.

Vom Bundestag direkt nach Karlsruhe ans Bundesverfassungsgericht? Wie das geht, zeigt Stephan Harbarth. Bundestag und Bundesrat haben ihn Ende November zum Verfassungsrichter gewählt. Eine gute Wahl? Er ist ein hoch qualifizierter Jurist, Rechtsanwalt, Honorarprofessor an der Universität Heidelberg – und ein langjähriger aktiver Spitzenpolitiker. Zuletzt war er CDU-Fraktionsvize im Bundestag und Mitglied im Bundesvorstand der Partei. Ist dieser Wechsel von der Politik direkt in die Verfassungsrechtsprechung problematisch?

Für den Politiker sprechen gute fachliche Gründe. Er ist ein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt. Lange Jahre hat er Vorlesungen an der Uni Heidelberg gehalten. Inzwischen ist er dort Honorarprofessor. Das Bundesverfassungsgericht muss die ganze Breite des deutschen Rechts bearbeiten. Und versierte Anwälte erweitern die Kompetenz des Gerichts ganz sicher. Aber Harbarth ist eben nicht nur Rechtsanwalt, sondern auch lange schon Politiker. Seit früher Jugend ist er parteipolitisch aktiv. Er hat viele (Partei)Ämter bekleidet. Seine politische Karriere hat ihn bis an die Spitze der CDU und der Bundestagsfraktion geführt. Er weiß, wie Politik funktioniert. Ist das nicht ein Vorteil?

Das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht. Es ist aber gleichzeitig auch ein Akteur auf der politischen Bühne. Es agiert an der Grenze von (Verfassungs)Recht und Politik. Seine Urteile betreffen nicht selten hoch politische, heftig umstrittene Problemfälle. Und es kann Gesetze, die das Parlament nach politischen Debatten mit politischen Mehrheiten verabschiedet hat, wieder aufheben, wenn es sie für verfassungswidrig hält. Die Karlsruher Richter sind zwar Juristen. Sie müssen aber immer die politischen Aspekte und Auswirkungen ihrer Entscheidung im Auge haben. Sie dürfen dennoch nicht politisch entscheiden. Ihre Urteile müssen immer verfassungsrechtlich korrekt sein. Das ist ein schwieriger Spagat. Völlig unpolitische Juristen, die sich in rechtlichen Details verlieren, schaffen diesen Balanceakt zwischen Recht und Politik nicht. Ein Minimum an politischem Gespür und Verständnis müssen Verfassungsrichter mitbringen. Politische Erfahrung, wie sie Stephan Harbarth hat, könnte deshalb ein großer Vorteil sein.

Es gibt auch Präzedenzfälle. Zwei Ministerpräsidenten wechselten direkt aus ihren politischen Ämtern an das Verfassungsgericht in Karlsruhe. Gebhardt Müller kam 1959 aus Stuttgart, Peter Müller 2011 aus Saarbrücken. Auch der frühere Bundesinnenminister Ernst Benda, Jutta Limbach, die Justizsenatorin von Berlin und der Innenminister von Thüringen, Peter Michael Huber, gelangten aus politischen Spitzenpositionen an das Gericht in Karlsruhe. Alle waren und sind geachtete Richter. Also kein Problem? Doch. Aber das Problem liegt tiefer.

Misstrauen ist Gift für die Demokratie

Eine Demokratie braucht das Vertrauen ihrer Bürger wie die Luft zum Atmen. Sie funktioniert nur, wenn die Bürger darauf vertrauen, dass die staatlichen Institutionen für das Wohl der Allgemeinheit arbeiten. Schwindet dieses Vertrauen, entsteht Politikverdrossenheit und sogar Demokratieverdrossenheit. Misstrauen und Argwohn der Bürger sind Gift für die Demokratie. In repräsentativen Umfragen wird seit Jahrzehnten ermittelt, wie hoch das Vertrauen der Deutschen in ihren Staat und die Politiker ist. Erschreckend groß ist das Misstrauen gegenüber den Parteipolitikern und den Parlamenten. Das Bundesverfassungsgericht dagegen genießt seit Jahrzehnten ungebrochen das höchste Vertrauen in der Bevölkerung. Der Grund dafür ist klar: Es gilt weithin als objektiv und unabhängig von der (Partei)Politik. Es ist ein wichtiges Symbol für den funktionierenden Rechtsstaat. Das ist auch die Grundlage seiner Autorität. Seine Urteile können nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Sie werden befolgt, weil man ihm vertraut. Seine Urteile werden als vernünftig, objektiv und gerecht wahrgenommen.

Dieses Urvertrauen in das Verfassungsgericht darf nicht beschädigt werden. Sonst leidet nicht nur die Funktionsfähigkeit des Gerichts. Auch das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte und den Rechtsstaat insgesamt wird beschädigt. Ganz offen und ungeschminkt lässt sich das zurzeit in Polen und Ungarn beobachten. Die Regierungsmehrheiten dort beseitigen die Unabhängigkeit der obersten Gerichte und beschädigen den Rechtsstaat. Mit guten Gründen versucht die EU, diese Entwicklung aufzuhalten.

Hier liegt das Problem, wenn aktive Partei-Politiker unmittelbar aus einem politischen Amt ans Verfassungsgericht wechseln. Ob berechtigt oder nicht: In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Parteipolitik das unparteiische Bundesverfassungsgericht infiltriert. Das Vertrauen in das oberste Gericht wird beschädigt. Seine Autorität leidet. Erschwerend kommt hinzu: Das Verfahren, in dem neue Verfassungsrichter gewählt werden, ist völlig intransparent. Einige wenige Spezialisten aus Bundestag und Bundesrat machen das unter sich aus. Die Öffentlichkeit bleibt völlig außen vor. Die völlig fehlende Transparenz bei der Auswahl der Richter ist undemokratisch – und sie schürt Misstrauen. Vielleicht werden die Richter ja nach parteipolitischen Kriterien ausgewählt, um ein gefügiges Gericht zu bekommen? Wer wollte den Bürgern dieses (Vor)Urteil verdenken?

Schon der bloße Anschein, dass das Gericht parteipolitisch instrumentalisiert wird, ist fatal. Der Schaden für den Rechtsstaat ist groß. Deshalb ist es falsch, aktive Spitzenpolitiker zu Verfassungsrichtern zu machen.

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