/Blockhausen: Der Sauensäger

Blockhausen: Der Sauensäger

Andreas Martin will nur schnell zu den Handwerkern, die gerade eine Idee
umsetzen, die ihm kürzlich spontan in den Kopf geschossen ist. Aber für seinen Weg über den
Hof benötigt er eine halbe Stunde, ständig sprechen ihn Leute an. Martin trägt eine graue
Arbeitslatzhose, ein T-Shirt mit ausgeblichener Schrift, die grauen Locken und der Bart sind
wie immer unfrisiert. Er ist hier, auf einer Waldlichtung in Sachsen, zwischen Mulda und
Dorfchemnitz, ein Mann, an den die Leute herantreten, als halte der König des Erzgebirges
Hof.

“Haben Sie das wirklich alles alleine gemacht?”, will ein Tourist wissen. Martin brummt eine Bestätigung, ehrfürchtiges Nicken beim Gegenüber.

Andreas Martin hat ein ganzes Dorf aus Holzblockhütten in den erzgebirgischen Wald gesetzt, das zu einem Ziel für Zehntausende Touristen im Jahr geworden ist. Dazwischen stehen überall Schnitzereien: Dutzende übermannshohe Holzfiguren, die er, Martin, und seine Leute mit der Kettensäge geschnitzt haben.

Geschnitzt, mit der Kettensäge? Ja, genau.

Blockhausen, das ist der Name dieses Dorfs im Wald, und was es hier zu sehen gibt, das sind: eben die vier Holzblockhäuser und die Kettensägen-Schnitzereien, dazu der “längste Tisch der Welt” (39,8 Meter lang, zwei Tonnen schwer) und eine Bude, an der es Wildbratwurst gibt. Das klingt unspektakulär. Wenn aber Martin die weltbesten Kettensägenschnitzer zu sich einlädt, kommen Tausende Gäste. Jetzt, in der Weihnachtszeit, ist Blockhausen völlig überlaufen. Und wenn Wahlkampf ist, schaut auch mal der sächsische Ministerpräsident vorbei. Wie Andreas Martin das geschafft hat? Alles Zufall, sagt er, und wenn er dabei von seinem Balkon aus schüchtern ins Tal guckt, eine Hand im Fell seines Hundes, glaubt man ihm das fast.

Im Frühjahr 1996, sagt Andreas Martin, sei er beim Freistaat Sachsen angestellter Förster gewesen und habe, aus reiner Neugier, einfach ein vier Meter hohes und 68 Quadratmeter großes Holzblockhaus gebaut. Er stellte das Haus mitten in den Wald, auf ein Stück Land, das er der Treuhand abgekauft hatte. Plötzlich kamen immer mehr Spaziergänger und sagten: Klasse, Andreas, da musst du mehr draus machen!

So kam ihm die Idee, ein Walderlebniszentrum in seinem Blockhaus aufzumachen, um mit den Leuten zu reden, die denken, “dass die Bretter im Baumarkt wachsen”. Bald eröffnete er einen Imbiss dazu, “denn bloß für’n feuchten Händedruck kriegst du die Leute nicht in den Wald.” Aber am wichtigsten war die Sache mit dem Schnitzen.

Martin hatte schon länger mit der Kettensäge experimentiert, versucht,
Wildschweine aus Baumstämmen zu schneiden. Eines Tages gab er “Chainsaw Carving” bei Google
ein – und es tat sich für ihn eine neue Welt auf. Während die Kunst des Kettensägenschnitzens
in Deutschland damals, Anfang der 2000er-Jahre, noch unbekannt war, gab es dazu in Amerika
schon Shows mit Tausenden Besuchern. Martin flog nach Ridgway, Pennsylvania, zum damals
größten Kettensägenschnitzwettbewerb. “Als meine erste Wildschweingruppe fertig war, habe ich
selber gestaunt, was möglich ist”, sagt er. Wildschweine schnitzen, das wird sein
Markenzeichen. “Sauensäger” nennen sie ihn deswegen bis heute. In den nächsten Jahren
verdrängte er, der Förster aus dem Erzgebirge, die Amerikaner von der Weltspitze der
Kettensägenschnitz-Events.

An einem Sonntag glitzern geparkte Autos in langen Reihen auf den Hügeln um Blockhausen, im Walddorf fliegen Holzspäne. Martin hat die besten Schnitzer weltweit zu einem der am höchsten dotierten Wettbewerbe eingeladen. Allein 1.900 Euro stiftet er, Andreas Martin, allen Schnitzern, die zu ihm reisen. US-Amerikaner sind da, Ecuadorianer, Tschechen. Die meisten Figuren sind schon fast fertig: Riesige Bergmänner nach dem Vorbild der Freiberger Knappschaft, das Thema hatte Martin gesetzt. Pulkweise schieben sich die Menschen durch die steilen Waldwege, bewundern die Schnitzer und suchen einen halben Quadratmeter Platz, um unfallfrei Wildgulasch und Kartoffelpuffer zu essen.

Hits: 5