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Claas Relotius: the rhinozerus in the room

Jan Böhmermann, der Autor dieses Gastbeitrags, ist Satiriker und Fernsehmoderator. Seine Sendung “Neo Magazin Royale” wird wöchentlich auf ZDFneo ausgestrahlt.

Claas Relotius hat zwischen 2010 und 2012 auch für ZEIT ONLINE
und ZEIT WISSEN einige Beiträge verfasst. Wir überprüfen sie auf ihren
Wahrheitsgehalt. In unserem Glashaus-Blog sammeln wir die Ergebnisse.

Manchmal, wenn eine Geschichte ihn ratlos zurücklässt und ihm
Häme und Spott allein nicht die gewohnte, erlösende Befriedigung
verschaffen, bringt es den Quatscherzähler weiter, wenn er seine
unfertigen Gedanken festhält und teilt. Fast wie so ein richtiger,
echter Journalist, nur eben unfertig. Jemand wird vielleicht
weiterdenken, was der Quatscherzähler selbst nicht weiterzudenken
vermag. Und wenn nicht, kann er sich wenigstens mit einigem Abstand
seinen aufgeschriebenen Gedanken zuwenden und sie im Nachhinein
besonders dumm finden oder besonders schlau. Oder irgendwas dazwischen.

Der Fall des mutmaßlichen Hochstaplers Claas R. (33), der jahrelang als vorgeblicher Journalist tatsächliche Quatschgeschichten an Qualitäts- und Leitmedien wie DER SPIEGEL, WELT, CICERO, ZEIT, taz oder NZZ (gottlob doch nicht: The Guardian) verkauft haben soll, ist so eine Geschichte,
die der Beobachter erst einmal sacken lassen muss, bei der das tiefere
Nachdenken die ersten Affekte einholt und überspült. Eine Nacht, zwei
Nächte grübelnd darüber wach liegen. Oder als Nicht-Journalist: prima
schlafen, wie immer.

Nach dem Verglühen der ersten leichthändig rausgeballerten Powertweets über die “Causa Claas”
hat den Autor dieses Gastbeitrags seine verschüttete  journalistische
Vergangenheit eingeholt, emotional. Vor vierzehn Jahren hatte er sich
nach seiner Zeit bei Zeitung und Radio und dem öffentlich-rechtlichen
Volontariat freiwillig gegen eine seriöse journalistische Berufslaufbahn
entschieden und ist derart tief in die bunte Welt zwischen Fakten und
Fiktion, die – im weitesten Sinne – Kunst abgetaucht, dass er inzwischen
völlig schamlos über sich selbst in der Dritten Person schreiben kann.
Quatscherzähler, also Künstler, im Hauptberuf zu sein, bringt den Luxus
mit sich, befreit davon zu sein, irgendetwas von Bedeutung zum
Weltgeschehen beitragen zu müssen, aber es versuchen zu können, wenn man
Bock drauf hat.

In den zurückliegenden, dunkelsten Tagen des
journalistischen und astronomischen Jahres 2018 wäre es für den
Künstler also deutlich entspannter, sich um die Weihnachtsbesorgungen zu
kümmern und der verbeulten Vierten Gewalt, dem Journalismus, dabei
zuzusehen, wie sie mit heiligem Ernst und Demut! Demut! und nochmal Demut! bei
den Aufräumarbeiten nach dem Fall Claas R. ins Schwitzen kommt. Wie hat
schon der in ernsthaften Quatschfragen überstrapazierte Kurt Tucholsky
nie gesagt: “Demut braucht
nur der, der den Schlüssel für den Keller verlegt hat, in den er zum
Lachen geht.”

Der Künstler – in Wahrheit natürlich die Fünfte
bis Zehnte Gewalt und dem Journalisten übergeordnet, aber zu
bescheiden, das öffentlich zuzugeben – legt darum nicht die Füße hoch,
denn er weiß wie das ist, als Journalist – emotional. Er will helfen.

Kunst,
schreiben inzwischen ehemalige Kollegen, das wäre doch auch besser das
Ding von Claas R. gewesen! Der hätte mal Bücher schreiben sollen,
fabelhafte Romane wären das bestimmt geworden! Dann wäre das alles nicht
passiert! Nicht wenige mutmaßlich um ihre Journalistenpreise Betrogenen
rätseln, ob sie denn nun einen Platz nach oben rücken, wo “der
Claas” ja jetzt weg von Fenster ist. Preise sind doch die Währung der
Branche.

Der ohnehin schon unter dem schrecklichen Schicksal,
mehr Journalistenpreisverleihungen moderiert als Journalistenpreise
verliehen bekommen zu haben, leidende Fernsehjournalist Jörg Thadeusz
kann seine tiefe Verbitterung nach dem Riesenskandal um Claas R. noch
weniger verbergen als sonst. Am
Donnerstag verkündet er zornig und unter Zuhilfenahme von Wörtern wie
“Journaille”
, “Opferhaltung” und “Bembel” “erst dann wieder einen
(Journalistenpreis) zu vergeben, wenn Verkehrspiloten auch für jede
zehnte geglückte Landung prämiert werden”. Gut gebrüllt, Löwe. Und
trotzdem den Humor nicht verloren. Claas “Gonzo” R. – der
Nestbeschmutzer des Journalismus, der Journalistenpreise, des SPIEGEL!
Aber in der Kunst, nun ja, da wäre er wohl gerade richtig aufgehoben,
der böse Claas, der uns alle hinters Licht geführt hat mit seinen award winning Smoothies aus Fakten, Fiktion und Gefallsucht und/oder Irrsinn.

In Demut! Demut! Demut! sei vermutet: Dem Journalisten geht es um die möglichst vollständige Erfassung und Beschreibung der Welt. Das findet der Künstler natürlich lächerlich vom Journalisten, denn er hält es für zielführender, seine eigene Welt
zu erfassen und zu beschreiben. Nur durch die Einbeziehung von Fiktion
und die Bereitschaft zum Unsinn und zur Spielerei kann die Wirklichkeit
wahrhaftig erzählt werden. Wer etwas anderes behauptet, sollte sich
bitte zweihundert Jahre in die Vergangenheit zurückbeamen. Es ist keine
besonders große Erkenntnis, dass nur das Erfassbare und das Unerfassbare
zusammengenommen das ganze Bild ergeben.

“Ebony and ivory, go together in perfect harmony,” scheppert
es wie zufällig an dieser Stelle aus dem batteriebetriebenen
Küchenradio des leicht untersetzten Pförtners mit den strahlend weißen
Zähnen am Empfang des bunkerartigen SPIEGEL-Palastes an der
Enricospitze, während er den SPIEGEL-Hausausweis des Claas R. dem
Aktenschredder zur endgültigen Vernichtung übergibt. Das ist leider kein
Journalismus, sondern Quatsch. Aber wer will und kann das noch
auseinanderhalten?

Dass Quatsch als Mittel zur Erkenntnis prima
funktioniert, fand Claas R. schnell heraus. Nur, wie bei jedem
schlechten Wissenschaftler, Kriminalbeamten oder eben Journalisten stand
bei dem jetzt mutmaßlich Aufgeflogenen ein großer Teil seiner
Erkenntnisse schon fest, bevor er sich überhaupt an die Recherche
machte. Es ist also nicht die Schuld des Quatsches, sondern desjenigen,
der den Quatsch missbräuchlich verwendet und ihn für seine eigenen
niederen Zwecke einspannt. Juristen wissen: Das ist strafbarer
Quatschmissbrauch! Und strafbarer Quatschmissbrauch ist immer dort
besonders leicht, wo Quatsch selten vorkommt, sich keiner mit Quatsch
auskennt und man sich darum vor dem Quatsch fürchtet. Wo niemand Quatsch
erwartet, wird alles ernst genommen. Die Lenape-Indianer haben sich
1626 ihre Insel Manhattan für eine Handvoll Glasperlen von einem
betrügerischen Deutschen in niederländischem Auftrag abquatschen lassen,
weil sie sich von den ihnen unbekannten Glitzersteinchen blenden und
beeindrucken ließen. Glasperlen waren für die Lenape-Indianer damals so
fremdartig und faszinierend, wie es der Quatsch noch heute für
renommierte Nachrichtenmagazine ist.

Quatsch ist kein
traditionell von seriösen Journalisten im Alltag verwendetes Werkzeug,
kein statthaftes Mittel oder überhaupt eine Kategorie, mit der man sich
außerhalb der von ernsthaften Journalisten zu vernachlässigenden
Berichterstattung über Quatsch (Musik, Film, Kunst etc.)
beschäftigen müsste. Claas R. machte unverdächtigen Ernst, darum ist er
mit seinem verdächtigen Quatsch so lange durchgekommen. Mindestens
sieben Jahre lang.

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