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Warum eine Selbstverpflichtung zu wenig ist

Zum Thema Selbstverpflichtung ein Abstecher dahin, wo alle ihre Begabung zur Vernunft und Verantwortung in (Tacho-)Zahlen vor Augen haben: auf die Autobahnen des Landes. Niemand ist daran gehindert, sich selbst zum spritsparenden und umweltschonenden Tempo 120 zu verpflichten. Doch wird 120 (fast immer und überall) nur dort gefahren, wo schneller verboten ist, und wenn – wie jetzt die Deutsche Umwelthilfe – jemand generelle Tempolimits fordert, wird über nicht weniger als eingeschränkte Freiheit lamentiert, und dass das ja wirklich zu weit gehe.

Nun sind Menschen zwar nicht gleich Unternehmen, aber alle, die dort arbeiten, sind Menschen. Und warum sollten die als Angestellte anders funktionieren als am Steuer? Sprich: Warum sollten sie freiwillig etwas ändern, wenn sie ebenso gut erstmal weitermachen können wie bisher?

Wenn also jetzt die Ernährungsministerin ihre wortbombastische „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für weniger Zucker, Salz und Fett“ vorlegt, ist das einerseits toll, dass die aber als Selbstverpflichtung der Industrie daherkommt, ist zumindest schade.

Ein Gesetz würde Verbindlichkeit schaffen

Ohne der Lebensmittelindustrie zu nahe treten zu wollen, darf an der Effektivität der Regelung auf freiwilliger Basis gezweifelt werden. Das hat schließlich schon in anderen Bereichen nicht geklappt. Beim Tierwohl nicht. Bei der Verbesserung der Herstellungsbedingungen in der Mode nicht. Bei der Plastiktüten- und der CO2 -Ausstoßreduzierung nicht und sofort.

Warum sollte die freiwillige Selbstverpflichtung nun ausgerechnet bei Zucker, Salz und Fett klappen? Oder anders gefragt: Warum blieb die Politik hier so rücksichtsvoll? Hat man nur etwas getan, ohne wirklich gehandelt zu haben, um Tätigkeit zu simulieren?

Letztlich könnte eine strenge gesetzliche Vorgabe sogar der Lebensmittelindustrie selbst helfen. Denn so könnte das Risiko minimiert wird, dass einzelne egoistische Betriebe auf Kosten der sich selbstverpflichtenden Anderen kurzfristige Wettbewerbsvorteile erringen – in dem sie sich nicht an die neuen Regeln halten. Was ihnen wegen der rechtlichen Unverbindlichkeit keine Nachteile bringen dürfte. Die Lebensmittelbranche verweist oft genug auf den harten Wettbewerbsdruck. Da könnte die Versuchung zum unfairen Spiel groß sein.

Die Ansage, Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln zu reduzieren, ist volkswirtschaftlich geboten, schon allein deshalb, weil die gesundheitlichen Schäden durch übertriebenen Konsum der drei Nahrungsmittelkomponenten zu Gesundheitsschäden und damit Kosten für die Allgemeinheit führen. Nach Krankenkassenangaben belaufen die sich auf 70 Milliarden Euro jährlich. Zum Vergleich: Laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum summieren sich die Kosten durch Raucher auf 80 Milliarden Euro.

Gruselbilder auf Müslipackungen?

Schon heißt es, Zucker sei das neue Nikotin. Damit ginge eine regelrechte Fürsorgepflicht einher. Wenn Zigarettenschachteln mit Raucherlungen zugeklebt werden, müssen dann auf Müslipackungen künftig adopositasverformte Beine?

Eine Bevormundung von Verbrauchern, die in der politischen Einmischung in Fragen der Lebensführung gern gesehen wird, liegt im Fall der Nationalen Strategie nicht vor. Wer seinen Joghurt gern extrasüß isst, kann sich Zucker reinrühren, wer gern salzig isst, kann nachsalzen, und wem die fettreduzierte Tiefkühlpizza nicht genug trieft, der legt Salami drauf oder streicht Butter drüber. Das bleibt alles möglich.

Neu wäre, dass diejenigen, die sich gesünder ernähren wollen, bei reduzierten Anteilen an Zucker, Salz und Fett in Brot, Joghurt, Ketchup oder Gewürzgurke dazu überhaupt in die Lage versetzt würden. Wenn es denn so kommt.

Einfacher als die Reduktionsstrategie wären Zusatzsteuern auf die bedenklichen Geschmacksträger. Die könnten wie in anderen Ländern auch in Deutschland einfach erhoben werden und fertig. Doch während das den ohnehin vollen Bundeshaushalt nur noch mästen würde, bliebe für finanziell schwache Käufergruppen die Demütigung zurück, sich bisher Gewohntes – und sei es die Tüte Capri Sonne, von der man ohnehin nicht weiß, wie man ohne den verbotenen Strohhalm künftig daraus trinken soll – plötzlich nicht mehr leisten zu können.

Dann doch lieber als Staat die Industrie zu neuen Rezepten verpflichten. Das grenzt niemanden aus und macht alle gesünder. Wenn es denn so kommt.

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