/Steinkohlebergbau: “Beide Oppas hatten Staublunge”

Steinkohlebergbau: “Beide Oppas hatten Staublunge”

Die Kohle war das Gold der Region. Kein anderer Rohstoff hat die jüngere Geschichte Europas so geprägt wie die Steinkohle. Und keine andere Gegend erreichte dabei eine größere Bedeutung als das Ruhrgebiet. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts existierten an der Ruhr Zechen, hundert Jahre später arbeiteten mehr als 400.000 Männer als Bergleute. Die Steinkohle, sie war der Motor der Industrialisierung.

Innerhalb kürzester Zeit wurden die Städte des Ruhrgebiets aus dem Boden gestampft. Städte, viel zu nah an anderen – das Dazwischen als Daseinsform dieser Städte zeigt sich, wenn man reist und unsicher ist, ob man schon in Herne ist oder noch in Castrop-Rauxel. Ein zusammenhängendes Konzept für das größte Ballungsgebiet Deutschlands gibt es bis heute nicht. Und auch heute noch wird die Region weniger mit der Zeche assoziiert als mit Struktur- und postindustriellem Wandel.

Doch in den letzten Tagen der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop ist das Interesse der Öffentlichkeit an den Kumpeln und ihren Geschichten noch einmal groß. Artikel über die Schließung nehmen Bezug zur Sprache der Region. “Glück auf” bei den Optimisten, “Schicht im Schacht” bei anderen. ZEIT ONLINE rief seine Leserschaft dazu auf, Erinnerungen und Gedanken zum Bergbau im Revier, wie das Ruhrgebiet auch genannt wird, einzuschicken. 

Viele der rund 70 Einsendungen verbindet eine Ansicht: Der Bergbau war für das Ruhrgebiet identitätsbestimmend. In einer bis dato einzigartigen Urbanisierung auf engstem Raum entstand eine Stadtlandschaft mit Menschen, die ihre eigene Sprache und Mentalität formten. Sie gäbe es ohne den Bergbau nicht. Er hat der Region eine eigene Kultur und ihren Bürgerinnen und Bürgern ein besonderes Selbstverständnis verliehen. “Wer einmal miterlebt hat, wie eine ganze Kneipe voll wildfremder Menschen um Mitternacht spontan das Steigerlied anstimmt, nur weil irgendjemand Geburtstag hat, und alle mitsingen”, schreibt User derKnut, “der kann vielleicht ansatzweise verstehen, wie das Grubengold den Pott über Generationen hinaus geprägt hat.”

Die 20 hier veröffentlichten Beiträge spiegeln aber auch die Diversität der Erinnerungen und Meinungen wider.

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Zusammenhalt lässt sich am besten mit dem Begriff Kumpel beschreiben.

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User/in Lars B., Mülheim/Ruhr

von: User/in Lars B., Mülheim/Ruhr

Ich bin ein Kind des Ruhrgebietes. Mein Onkel hat auf verschiedenen Zechen als Bergbauingenieur und bei der Grubenwehr gearbeitet. Was bleibt, ist ein Zusammenhalt und eine Mentalität. Zusammenhalt lässt sich am besten mit dem Begriff Kumpel beschreiben. Ein Begriff, den ich heute noch gerne benutze. Er beschreibt Menschen, die nicht zum engeren Freundeskreis gehören, aber auf die man sich trotzdem immer verlassen kann. Sie sind da, wenn man sie braucht, und man packt gemeinsam an. Zusammen anpacken ist auch etwas, das ich mit der Mentalität des Ruhrgebiets verbinde. Eine, wie ich finde, tolle Eigenschaft. Wenn eine Situation nun mal so ist, wie sie ist, dann packt man gemeinsam an und kümmert sich drum. Ist halt so. Kann man jetzt nichts dran ändern. Anpacken und fettich machen.

Meine Oma hatte sich unter dem Leben in Deutschland etwas anderes vorgestellt.

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Lena Fiedler, Essen, Hospitantin bei ZEIT ONLINE

von: Lena Fiedler, Essen, Hospitantin bei ZEIT ONLINE

Mein Opa Alfredo war Bergmann. Er kam 1960 als Gastarbeiter aus Italien und fing an, in der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen-Horst als Hauer an. Er hat mal erzählt, dass damals dem 1000. Gastarbeiter aus Italien eine Vespa geschenkt wurde, da ist er wohl ganz knapp dran vorbei und das hat ihn verständlicherweise sehr geärgert. Für meine Oma und ihn war die erste Zeit schwer, sie haben in einer der Baracken in Horst gewohnt, die man für die Gastarbeiter bereitgestellt hatte. Für meinen Opa war das okay, meine Oma hatte sich unter dem Leben in Deutschland etwas anderes vorgestellt. Sie erzählte, dass die Männer Playboyposter an die Wand gehängt und die Schuhe nicht ausgezogen haben, wenn sie nach Hause gekommen sind. Zum Glück waren sie damals schon verheiratet, weil sich Pärchen ungetraut nicht auf eine Wohnung bewerben durften. Sie zogen dann in eine Zechensiedlung in Essen-Altenessen, in der auch ich geboren und aufgewachsen bin. Die Fassaden der Häuser in der Siedlung sahen fast alle gleich aus, roter Backstein und schwarze Fenster.

Mein Opa hatte ein Talent dafür, sich Freunde zu machen. Das System unter Tage war hierarchisch aufgebaut und er hat sich schnell mit dem Steiger zusammengetan, weil es dann weniger Arbeit und ein paar Vorteile mehr gab. Der Zusammenhalt unter den Bergarbeitern war gut, mein Opa wurde, obwohl er aus Italien kam, in der Gemeinschaft aufgenommen. Der Patenonkel meiner Mutter war dann auch ein Kumpel von ihm, der Fritz. Die Arbeit vom Fritz war es, die Bergmänner im Fuhrkorb nach unten zu bringen. Eines Tages brach bei einer Fahrt nach unten die Sicherung, und der Fuhrkorb rauschte nach unten. Ab dem Zeitpunkt war Onkel Fritz querschnittsgelähmt und musste von seiner Frau gepflegt werden. Mein Opa hat, seit ich ihn gekannt habe, alle drei Minuten gespuckt. Dabei hat er tief unten in seinem Hals ein gurgelndes Geräusch erzeugt und dann sehr beherzt und egal, wo er stand, ausgepuckt. Er meinte, das komme noch vom Staub auf der Lunge, so was werde man nicht mehr los. Auf dem Rücken hatte er dunkle Stellen, die fast aussahen wie tätowiert. Wenn man sich als Bergmann im Stollen die Haut am Rücken blutig geschürft hat, legte sich der dunkle Dreck auf die Wunde. Wenn die zugewachsen ist, schimmerte der schwarze Staub unter der Haut hervor. Er hat nie viel über den Bergbau gesprochen. Und ich war zu jung, um ihn danach zu fragen. Dass Zechen heute Museen sind, konnte er nicht verstehen. Warum sollte eine Grubenlampe, mit er noch vor ein paar Jahren eingefahren ist, jetzt ausgestellt werden? Dass die Zeche Zollverein auch noch zu einem Weltkulturerbe erklärt wurde, konnte er überhaupt nicht nachvollziehen. Damals hat mich seine Vergangenheit nicht wirklich interessiert. Bergbau hat man irgendwann mal in der Schule – aber erst seit ich nicht mehr im Ruhrgebiet wohne, fange ich an, mich für die Einzelheiten aus dem Leben meines Opas im Ruhrgebiet zu interessieren.

Er ging 1982, zehn Jahre vor meiner Geburt, in Frührente. Das Personal musste reduziert werden. Meine Mutter sagt heute, dass er der Arbeit unter Tage keine Minute hinterhergetrauert habe. Er wollte nicht mehr schwarz nach Hause kommen.

Mein Opa erzählte mir häufig davon, wie viel Angst er hatte, mit 16 Jahren erstmals unter Tage zu fahren.

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User/in Stephanlx, Essen

von: User/in Stephanlx, Essen

Mein Opa war Hauer auf Zollverein in Essen. Ich gehe gern heute noch mit ihm dort vorbei und lasse mir von der anstrengenden Arbeit in Schacht IV erzählen. Opa hat die Arbeit unter Tage keinesfalls glorifiziert; er erzählte mir häufig davon, wie viel Angst er hatte, mit 16 Jahren erstmals unter Tage zu fahren und dass er nach der Schicht so ausgelaugt war, dass er völlig entkräftet ins Bett fiel. Er war froh, als er bereits in den Sechzigerjahren eine Umschulung zum Maler machen konnte. Diese Umschulung zieht mein Opa auch immer belustigt als Begründung heran, warum er, anders als viele seiner alten Kumpel, noch nicht auf dem Friedhof am Hallo in Essen liegt.

Zwei Jahre später war er wieder der Erste. Die Staublunge.

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Monika Pilath, Dortmund, Chefin vom Dienst bei ZEIT ONLINE

von: Monika Pilath, Dortmund, Chefin vom Dienst bei ZEIT ONLINE

Er war jeden Morgen der Erste, der in unserer Straße aufbrach. Weißer Arbeitsanzug, schwere Arbeitsschuhe, Helm unterm Arm. Im Opel Kadett fuhr er los, 5.15 Uhr zur Frühschicht auf der Dortmunder Zeche Minister Stein. Er war der erste Vater in der Nachbarschaft, der in Rente ging – mit 56 Jahren. 40 Jahre hatte er da schon malocht, unter Tage, zuletzt als Obersteiger. Zwei Jahre später war er wieder der Erste. Die Staublunge.

Die Geschichten unserer Väter hörten sich so schrecklich an, dass ich mir selbst den Schwur abnahm: Ich werde irgendwas, nur nicht Bergarbeiter.

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Achim Ewert

von: Achim Ewert

Wir waren Jungs, alle um die zehn Jahre alt, in Marl. Wir machten uns unsere ersten Gedanken über das, was wir eines Tages als Beruf machen wollten. Unsere Väter arbeiteten fast alle bei der CHW (Chemische Werke Huels) oder auffem Pütt. Von den Spielkameraden, deren Väter Bergmänner waren, erfuhr ich zum ersten Mal von der Staublunge und von Männern, die schon mit 40 Invaliden waren. Die Geschichten unserer Väter hörten sich so schrecklich an, dass ich mir selbst den Schwur abnahm: Ich werde irgendwas, nur nicht Bergarbeiter. Und so wurde es auch.

Ade, nun ade! Lieb’ Schätzelein!

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Das Steigerlied

von: Das Steigerlied

Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt.
Und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
schon angezünd’t

Schon angezünd’t! Das gibt ein’n Schein,
und damit so fahren wir bei der Nacht,
ins Bergwerk ein

Ins Bergwerk ein, wo die Bergleut’ sein,
die da graben das Silber und das Gold bei der Nacht,
aus Felsgestein

Der eine gräbt das Silber, der and’re gräbt das Gold,
doch dem schwarzbraunen Mägdelein, bei der Nacht,
dem sein wir hold

Ade, nun ade! Lieb’ Schätzelein!
Und da drunten in dem tiefen finst’ren Schacht, bei der Nacht,
da denk’ ich dein

Und kehr ich heim, zum Schätzelein,
dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht,
Glück auf, Glück auf!

Wir Bergmann’sleut sein’s kreuzbrave Leut,
denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht
und saufen Schnaps.

Auf der Beerdigung meines Vaters stand die angezündete Grubenlampe auf dem Altar.

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User/in Oliver M.

von: User/in Oliver M.

Ich hatte nicht nur einen Oppa. Ich habe meinen Vater noch selbst am Zechentor eine Querstraße weiter abgeholt. Er hatte mit 17 Jahren einen Unfall unter Tage und dabei einen Unterschenkel verloren. Das hat das Leben der Familie geprägt. Obwohl er dann ins Büro durfte, war er stolz, Bergmann zu sein. Auf seiner Beerdigung stand die angezündete Grubenlampe auf dem Altar. Als Kind habe ich glücklich in den Hinterhöfen der Bergarbeitersiedlungen gespielt. Was haben wir jede Ecke genutzt, um unsere Freiheit zu haben. Die stillgelegten Flächen der Zechen waren Abenteuerspielplätze pur. Heute ist alles zugebaut. Für uns Malocherkinder gab es damals gute Bildungschancen. Leider hat die Politik es versäumt, nach der Kohle dort gute Arbeitsplätze zu etablieren. Daher musste ich nach Rhein-Main auswandern. Aus der Entfernung kann ich umso mehr die Mentalität der Leute an Rhein und Ruhr einschätzen. Sie ist vom notwendigen Zusammenhalt bei der Arbeit geprägt, sei es im Flötz oder am Hochofen. Wer einen physischen Eindruck davon bekommen möchte, sollte im Landschaftspark Nord den Hochofen V erklimmen. Von dort hat man einen imposanten Blick über das Revier: Von oben kann man erkennen, wie grün es dort ist.

Dann kamen die ersten Überlebenden aus dem Schacht, sich gegenseitig stützend, die verbrannte Haut in Fetzen von Gesichtern und bloßen Körperteilen hängend.

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Gerhard Tollas, Dortmund

von: Gerhard Tollas, Dortmund

Noch 15 Jahre alt kam ich im April 1952 in Dortmund-Mengede an, meine Habseligkeiten in einer alten Einkaufstasche meiner Mutter verstaut.
Unterkunft für die folgenden drei Jahre war das Lehrlingsheim an der
Nierhausstrasse. Dann fing die Lehre in der Zeche Adolf von Hansemann an.
Drei Monate über Tage, bis ich 16 wurde, dann ging’s runter in die Grube.
Ich arbeitete noch über Tage, als die Sirenen heulten und alle zur Förderanlage liefen. Eine Explosion auf der fünften Sohle, hieß es, und dann kamen die
ersten Überlebenden aus dem Schacht, sich gegenseitig stützend, die verbrannte Haut in Fetzen von Gesichtern und bloßen Körperteilen hängend.
Ich kann mich nicht erinnern, ob ich damals Zweifel an meiner Berufswahl gehegt habe, aber es gab da wohl auch keine Wahl.
Die gesamte Lehre bestand hauptsächlich aus Arbeiten zur Unterstützung
der Förderung. Oder der Bergung von Materialien aus stillgelegten Streben.
Drei Jungs im Alter von vielleicht 17 Jahren für sechs bis sieben Stunden allein in
der Dunkelheit, die Decke der alten Streben schon tief gesunken. Auf den Knien, oft im Liegen, transportierten wir schwere Eisenbögen zu einem Blechschlitten, der auf unser Signal hin nach oben in der Dunkelheit verschwand.
Alles nur schwach beleuchtet von unseren klobigen Grubenlampen.
In den Abbaustreben ging es oft hektisch zu, die Förderleistung musste
erbracht werden. Steiger und Rutschenbär standen unter großem Stress,
um alles in Gang zu halten. Und trotzdem waren wir Lehrlinge fasziniert und
gefangen von dieser Unterwelt. Das Gestein unter und über dem Kohlesaum
enthielt versteinerte Abdrücke von Siegelbäumen und Farnen.
Im Lehrlingsheim und beim Fußballspiel haben wir uns oft gegenseitig
ermahnt: “Hör doch endlich mal auf, nur von der Grube zu reden.”

Natürlich war das keine Zukunftsperspektive für mich, nicht zu vergessen die Staublunge, und ich bin dann auch bald nach der Lehre in die “normale” Welt zurückgekehrt. Nach 65 Jahren, 43 davon an der Pazifikküste von
Kanada, sind diese Erinnerungen noch immer stark und lebendig.
So eindrucksvoll war es eben.

Für mich war unsere Stadt ohne das Bergwerk undenkbar.

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User/in Stefanie, Ahlen

von: User/in Stefanie, Ahlen

Die Zeche Westfalen wurde 1900 eröffnet. Wir wohnten direkt an der Zeche. Wenn mein Stiefvatter Mittagsschicht hatte, kam er zur Kaffeepause durch den Zaun auf unseren Hof. In meiner Kindheit konnten wir keine Getränke draußen stehen lassen, meine Mutter konnte keine Wäsche draußen aufhängen, denn durch die Kokerei lag überall eine dicke schwarze Schicht auf allem. 1991 wurde die Schließung der Zeche beschlossen. Ich war dabei, als die Kumpel auf die Straße gingen, um dagegen zu protestieren. Für mich war unsere Stadt ohne das Bergwerk undenkbar.

In Jugendzeiten sind wir verbotenerweise mit unseren Mountainbikes auf der Halde rumgekurvt. Mein Stiefvatter hat unsere Hunde, wenn sie mal wieder abgehauen sind, von der Aschehalde geholt. Wenn wir zweimal im Jahr unser Koksdeputat bekamen, hat Vatter bewusst ›ne Nachtschicht eingelegt. Das Einschaufeln der Kohle lag dann bei mir und meinem Bruder.

Im Jahr 2000 wurde der Betrieb offiziell eingestellt und nur noch eine kleine Mannschaft kümmerte sich um die Pläne zur Nachnutzung. Eine Ära ging zu Ende. Viele der Väter meiner Freunde wurden in Frührente geschickt oder auf andere Bergwerke verteilt.

Seit 17 Jahren ist die Zeche dicht. Mein Stiefvatter lebt leider nicht mehr. Die Nachnutzung hätte ihm gefallen. Viele Handwerksfirmen haben sich in den alten Zechengebäuden niedergelassen, in der alten Waschkaue ist eine Kletterhalle, im Lokschuppen eine Tanzbar.
Die Halde ist grün und kann bewandert werden. Die Schienen wurden zurückgebaut, dort verläuft ein Radweg über fast die gesamte Strecke. Die meisten Häuser der Kolonie, in der ich aufgewachsen bin, stehen unter Denkmalschutz und sind schön hergerichtet.

Ich hatte und habe den größten Respekt vor all denen, die in diesem Bergwerk geschafft haben, ob unter oder über Tage. Das war meine Kindheit.

Der Bergmann wusste, er wird nicht mehr gebraucht.

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Norbert Meyer

von: Norbert Meyer

Ich war von 1969 bis 1980 im Bergbau beschäftigt. Das war ein Familiending: War der Vater dort, dann war auch sein Bruder im Bergbau und die Söhne ebenfalls. Ein solcher Sohn war auch ich. In den Siebzigerjahren hing der Bergbau schon am Tropf des Steuerzahlers. Diese Situation hat den Mythos des Berufs Bergmann erst wirklich befeuert. Der Bergmann wusste, er wird nicht mehr gebraucht, aber mach das, was du kannst, und mach es gut. Befriedigend war das nicht, weil man wusste, dass es so sinnlos ist. Bergleute waren auch immer politische Menschen; sie trafen sich als Gewerkschafter oder Parteigänger der SPD zum Biertrinken, durchorganisiert im guten Sinne, sozialisiert durch die gemeinsame Tätigkeit. Allerdings began der Missbrauch dieser Traumzustände schon damals. Smarte Funktionäre beider Organisationen wussten das zu ihrem Vorteil zu nutzen. Der Zustand der SPD heute hat seinen Ursprung in diesen Jahren. Die SPD hat bis heute nicht begriffen, dass das politische Geschäft nichts mehr mit den damaligen Taubenzüchtern und Kegelvereinen zu tun hat.

Verantwortlich für den Mythos unter Tage ist die Tatsache, dass im Steinkohlenbergbau Menschen in einer völlig lebensfeindlichen Umgebung arbeiteten. Um ihnen das überhaupt zu ermöglichen, musste alles, was der Mensch zum Leben benötigte, bis in 1.250 Meter Tiefe gebracht werden – und alles, was den Menschen gefährdete, musste abgefördert werden. Das war und ist eine Herausforderung. Der Bergmann musste Wasser haben, Wasser war aber auch gleichzeitig eine der großen Gefahren unter Tage. Der Bergmann benötigte Luft, auch die musste in die Tiefe gebracht werden, dazu war ein komplexes System notwendig, das Atemluft in jeden Winkel des Bergwerks brachte. Die Atemluft musste ständig überwacht werden. Das geschah früher mit Kerzen und Kanarienvögeln. Ging die Kerze aus oder verstummte der Kanarienvogel, wurde es gefährlich.

Methan, die zweite große Gefahr, war allgegenwärtig. Ohne Kontrolle des Methangehalts der Luft wäre ein Arbeiten unmöglich gewesen, denn der Bergman wäre erstickt. In der entsprechenden Mischung konnten Methan und Sauerstoff in der Atemluft hochexplosiv werden. Jeder Bergmann musste seine Lampe, einen Filter und ein Messgerät bei sich tragen.

Der dritte Feind war der Staub. Staub war überall und die wohl gefährlichste Substanz unter Tage: Staub ist ebenfalls hochexplosiv und er ist überall. Der feine Gesteinsstaub schädigt die Lunge. Mein Vater und zahllose andere Bergleute sind an der Staublunge zugrunde gegangen.

Damals hatten die Gewerkschaften und die SPD eine noch wichtige Aufgabe, nämlich das Leben des Bergmanns erträglich zu machen. Damals wurde körperlich harte Arbeit gut bezahlt. Heute wird körperlich harte Arbeit nur noch beim Iron Man gewürdigt – und der wählt nicht SPD.

Ich bin ein Nachfahre der Ruhrpolen, deren Arbeitskraft damals zigtausendfach gebraucht wurde, um das schwarze Gold abzubauen.

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Manuel Izdebski, Dortmund

von: Manuel Izdebski, Dortmund

Mein Uropa Jakob Izdebski kam 1880 aus dem damaligen Marienburg/Westpreußen nach Dortmund, um im Bergbau zu arbeiten. Vermutlich hatten ihn Anwerber der Bergwerksgesellschaften ins Ruhrgebiet gelockt. Er wurde ein Bergbaupionier der Zeche Gneisenau, die zu dieser Zeit in Dortmund-Derne abgeteuft wurde, und begründete damit eine Familientradition, die 107 Jahre andauern sollte. Mein Opa Heinrich Izdebski trat in seine Fußstapfen und wurde ebenfalls Bergmann. Zuletzt arbeitete er auf der Zeche Victoria in Lünen, dann machte ihn ein Arbeitsunfall zum Invaliden. Mein Vater Rudolf heuerte 1949 auf der Zeche Werne an. Als der Pütt 1974 geschlossen wurde, erfolgte seine Verlegung nach Hamm zur Zeche Heinrich Robert. Nach insgesamt 38 Jahren unter Tage ging er 1987 von dort in Rente. Mit ihm endete die familiäre Bergbaudynastie.

Mich zog es damals nicht in den Bergbau, was dem alten Herrn sehr gelegen kam: “Du hast Köpfchen, Junge, geh nicht auf’n Pütt.” Trotzdem fühle ich mich als Zechenkind, schließlich bin ich im Schatten des Förderturms von Schacht III in Bergkamen-Rünthe in einer Zechenkolonie aufgewachsen.

Die Geschichte meiner Familie ist eng mit dem Bergbau verknüpft und typisch für das Ruhrgebiet. Ich bin ein Nachfahre der Ruhrpolen, deren Arbeitskraft damals zigtausendfach gebraucht wurde, um das schwarze Gold unter Tage abzubauen.
Auch wenn das nicht immer so war – aber heute gehören die Grabowskis, Schimanskis, Gawolleks und Kowalskis wie selbstverständlich zur DNA des Ruhrgebiets. Wenn man mich auf meinen schwierigen Familiennamen anspricht, dann erkläre ich mit einem Augenzwinkern, dass ich echter Ruhrgebietsadel bin!

Es wurde ein riesiger Haufen Koks vor dem Haus meiner Großeltern abgeladen, den es dann galt, in den Keller zu schaufeln

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Lisa Hegemann, Herten, Digital-Redakteurin bei ZEIT ONLINE

von: Lisa Hegemann, Herten, Digital-Redakteurin bei ZEIT ONLINE

In einer Zeche zu arbeiten hatte sicher nicht viele Vorzüge, aber einer davon wärmte im Winter dann doch ganze Familien: das Kohledeputat. Das sicherte Bergleuten zusätzlich zu ihrem Lohn einen gewissen Anteil an Heizmitteln für die kalte Jahreszeit. Auch mein Opa – einst angehender Steiger in der Zeche Westerholt, nach einem Unfall dank seiner kaufmännischen Ausbildung in die Markenkontrolle versetzt, erhielt für seine Arbeit auf dem Pütt diese Zusatzleistung.

Die wurde zumindest in den Anfangsjahren noch in Naturalien ausgezahlt. Bedeutete: War das Kohledeputat fällig, wurde ein riesiger Haufen Koks vor dem Haus meiner Großeltern abgeladen, den es dann galt, in den Keller zu schaufeln. Doch nicht alles davon landete im Kohlekeller meiner Großeltern. Gerade in der Nachkriegszeit und in den Sechzigerjahren, als viele noch nicht so viel Geld hatten, kamen manchmal auch die Nachbarn vorbei und nahmen einen Teil davon mit. Nicht umsonst natürlich, meine Oma und mein Opa hatten auch nichts zu verschenken. Sie nahmen aber deutlich weniger Geld für die Heizmittel als ein klassischer Produzent und so hatten alle etwas davon: die Nachbarn günstigeres Heizmittel und meine Großeltern eine etwas ausgebesserte Haushaltskasse.

Heute würde man das wohl als Win-Win-Situation bezeichnen.

(mit Dank an meine Mutter für die Rekonstruktionshilfe)

“Dat hat der Kumpel wieder gut gemacht!”

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User/in Baron, Duisburg

von: User/in Baron, Duisburg

Meine Mutter ist gebürtige Duisburgerin: Barbara, die Patronin der Bergleute. Wie viele Bergleute in meiner Familie unter Tage waren, kann ich gar nicht genau sagen. Auch ich gehöre schon zu der Generation, die in ihrer Schullaufbahn den Bergbau Bochum nur als Museum kennengelernt hat. Die Halden besuche ich heute ausschließlich als Erholungsort, um mit meinen Hunden spazieren zu gehen. Für mich lebt der Mythos Bergbau immer noch und es wird auch weiter so bleiben. Die Zeche Zollverein wird in Zukunft auch dort stehen, wo sie steht. Der alte Mann neben mir auf der Südtribüne wird, so lange er lebt, mir nach einem Tor des BVB vor Freude und mit Tränen in den Augen in den Armen liegen. “Dat hat der Kumpel wieder gut gemacht!” Omma wird mich immer “bei ihr bei” rufen, wenn Sie etwas will. Na ja – und wahrscheinlich werden sich, so lange ich lebe, die Menschen im Ruhrgebiet auch immer erst aufregen, bevor sie zuhören.

Der war nach der Schicht jedesmal so müde, dass ihm der Kopf beim Essen fast in den Teller fiel, aber der Pütt hat ihn nicht mehr losgelassen.

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User/in Johanna 88, Essen

von: User/in Johanna 88, Essen

Ich bin in Essen geboren, mitten im Pott. Mein Großvater war Kumpel, mein Onkel ebenfalls. Ich bin mit den Geschichten vom Pütt aufgewachsen. Tolle Geschichten, spannende, manchmal auch traurige, aber ich kennen keinen, der nicht beim Erzählen leuchtende Augen und rote Wangen bekam. Es waren vor allem Geschichten von einer verschworenen Gemeinschaft, von Menschen, die auf Leben und Tod aufeinander angewiesen waren, von harter Arbeit und gegenseitigem füreinander Einstehen.

Mein erster fester Freund ist in Gelsenkirchen Zeche Nordstern eingefahren, das war in den Achtzigern. Das war eigentlich gar nicht vorgesehen. Der hatte Einzelhandelskaufmann gelernt und wollte sein Abi nachmachen und dann studieren, aber vorher ein, zwei Jahre Geld verdienen, um was auf die hohe Kante zu legen. Da kam der Job genau richtig. Gut bezahlt, Schichtarbeit extra, bei “warmer Arbeit” (ab 28 Grad da unten) Zuschläge, Raubrevier.
Der war nach der Schicht jedesmal so müde, dass ihm der Kopf beim Essen fast in den Teller fiel, aber der Pütt hat ihn nicht mehr losgelassen. Der war so begeistert, so fasziniert, so erfüllt – das habe ich selten bei anderen Jobs erlebt.

Ja, da ist was dran an dem Mythos. Wer einmal eingefahren ist, der war in einer anderen Welt, da können “die oben” gar nicht mitreden.
Ich kenne noch andere Kandidaten, die da mal eine Weile gearbeitet haben und später was anderes machten. Aber die meisten sagen bis heute, das war ihre beste Zeit.

Vom Bergbau zum IT-Sektor war ein politischer Erfolg, in der Realität aber ein Abstieg von einer Führungsposition in den Niedriglohnsektor.

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User/in Bananenkönig

von: User/in Bananenkönig

Ein ehemaliger Kollege hat lange im Bergbau gearbeitet und zum Ende hin 40 Mann unter seiner Aufsicht gehabt.
Jetzt macht er mit Mitte 50 ein bezahltes Praktikum und anschließend eine Ausbildung zum IT-Kaufmann. Er fährt nun für die Firma zum Niedriglohn den ganzen Tag IT-Hardware mit dem LKW von Büros zu Lagerstätten und umgekehrt, inklusive Abbau und Ein- und Ausladen. In den Augen der Regierung wohl eine Erfolgsstory, vom Bergbau zum IT-Sektor, in der Realität war das aber ein Abstieg von einer Führungsposition in den Niedriglohnsektor, um dort Handlangerarbeiten zu erledigen. Er hat leider in dem Alter keine andere Wahl, als zu nehmen, was er kriegen kann.

Beide Oppas hatten Staublunge und keiner von ihnen hat das 60. Lebensjahr erlebt.

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User/in Blackthorne

von: User/in Blackthorne

Ich komme aus einer Bergmannsfamilie und war der erste Junge, der nicht unter Tage war, weil mein Vater meinte, für mich etwas Besseres zu wollen. Beide Oppas hatten Staublunge und keiner von ihnen hat das 60. Lebensjahr erlebt. Mein Vater hatte ebenfalls Steinstaublunge und ist mit 67 gestorben. So viel zur Romantik unter Tage.

Diese Wahrheit hat etwas mit schlecht bezahlter Arbeit unter erbärmlichen Bedingungen zu tun, mit Staublunge, mit Männern, die nach 20 Jahren so fertig waren, dass sie kaum noch laufen konnten.

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User/in Mapleridge

von: User/in Mapleridge

Das haben “die da oben” nicht schlecht eingefädelt. “Die da unten” waren tatsächlich der Meinung, sie seien etwas Besonderes. Die Wahrheit ist natürlich eine andere und sie tut weh. Diese Wahrheit hat etwas mit schlecht bezahlter Arbeit unter erbärmlichen Bedingungen zu tun, mit Staublunge, und mit Männern, die nach 20 Jahren so fertig waren, dass sie kaum noch laufen konnten. Und später, als man sie nicht mehr brauchte, hat man die Zechen geschlossen und noch ein bisschen mehr vom romatischem Kumpel-Zuckerguss drübergegossen, damit selbst die Enkel noch stolz sein konnten auf ihre Großväter, die ihr Arbeitsleben in dreckigen, dunklen Stollen verbracht haben.

Menschen wie mein Oppa haben Deutschland das Wirtschaftswunder beschert.

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User/in J.G. Mendel, Dortmund

von: User/in J.G. Mendel, Dortmund

Oppa im Pütt bei Minister Stein, Vatta bei Hoesch, Omma und Mutta für Haushalt, Vieh und Kinder zuständig. Und die beiden Nachbarn absolute Taubennarren. Und, was man nicht glaubt: Dortmund bestand schon damals zu fast 50 Prozent aus Grünflächen. In den Wäldern habe ich meine Kindheit verbracht und später nie mehr so viele Feuersalamander, Molche, Blindschleichen, Rebhühner und Fasane, Füchse und Eulen gesehen, wie damals in den Dortmunder Wäldern und Feldern. Und die “größte Bierstadt Europas” war Dortmund damals auch noch. Im Stahlwerk Phönix in Dortmund-Hörde habe ich manche Nacht als Werkstudent die Temperatur heißer Bleche gemessen. Man konnte sie nur in Asbestkleidung betreten. Jede Viertelstunde Personalwechsel. Das Werk wurde abgerissen und das Gelände rekultiviert. Die Emscher, dereinst eine stinkende Kloake, ist heute sauber und speist einen künstlichen See, den Phönixsee. Genau dort stand das Stahlwerk.

Mein Oppa war zeit seines Lebens Bergmann. Im Krieg lag der Ruhrpott dann praktisch unter Dauerbombardierung. Brandbombenteile wurden per Hand aus dem Dachgeschoss geworfen, bevor das Haus in Flammen aufgehen konnte. Kurz nach Rentenbeginn starb mein Oppa: die Lunge. Menschen wie er haben Deutschland das Wirtschaftswunder beschert. Dieser Generation, vor allem den Malochern, gilt meine Hochachtung. Solange sie nicht den Nazidreck am Stecken hatten.

Ich kenne die Kumpel eigentlich nur als grobschlächtige, gefühlsarme Typen, die ihren Kindern bei mangelnder Disziplin einen hinter die Löffel gegeben haben.

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User/in Meisenknödel, Gelsenkirchen

von: User/in Meisenknödel, Gelsenkirchen

Mir ist die Verherrlichung des Kohlekumpels völlig fremd. Ich bin selbst Jahrgang 63 und komme aus Gelsenkirchen. Ich kenne die Kumpel eigentlich nur als grobschlächtige, gefühlsarme Typen, die ihren Kindern bei mangelnder Disziplin einen hinter die Löffel gegeben haben und die sich am Freitagabend, wenn es die Lohntüte gab, gesammelt in der Eckkneipe besoffen haben. Sympathisches, einfühlsames Wesen? Mag sein, aber dann so tief wie die Kohle im Stollen vergraben.

Eine Industrie hat die Menschen dauerhaft zusammengeschweißt.

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User/in DerKnut, Bochum

von: User/in DerKnut, Bochum

Mein Großvater war Hochöfner beim Bochumer Verein, Vater hat Eisenhüttenkunde studiert und so gebe ich mich der Illusion hin, dass Kumpelblut auch in mir fließt. Und genau das ist das Faszinierende an der Geschichte des Potts. Eine Industrie hat die Menschen dauerhaft zusammengeschweißt. Nirgendwo sonst habe ich es erlebt, dass man Menschen auf der Straße so zwanglos ansprechen kann, und – wenn auch mit mürrischen Charme – irgendwie immer hilfreiche Antworten kriegt.

Wer einmal miterlebt hat, wie eine ganze Kneipe voll wildfremder Menschen um Mitternacht spontan das Steigerlied anstimmt, nur weil irgendjemand Geburtstag hat, und alle mitsingen, der kann vielleicht ansatzweise verstehen, wie das Grubengold den Pott über Generationen hinaus geprägt hat. Von denen war keiner jemals unter Tage; vom Austellungsstollen im Deutschen Bergbaumuseum vielleicht mal abgesehen. Mit dem Bergbau mag nun endgültig Schluss sein – die Kumpelmentalität wird noch eine ganze Weile weiterleben.

Die Bergarbeiterromantik kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie anstrengend der Job war: im düsteren Schacht, die Knie kaputt, ohrenbetäubende Maschinen. Viele Bergmänner starben nach Jahren unter Tage an der Staublunge. Die große Narration von Kumpeln und Solidarität war ein sozialer Kitt, der dort klebte, wo Krankheit und harte Arbeit Risse hinterlassen hatte. 

Norbert Meyer, der selbst unter Tage gearbeitet hat, beschreibt den Bergbau als “lebensfeindliche Umgebung”, weil Luft und Wasser erst zu den Bergmännern gebracht werden musste. Die wichtigste technische Voraussetzung war der Einsatz der Dampfmaschine, die es erlaubte, große Mengen der schweren Kohle nach oben zu schaffen. Zudem konnten die neuen Maschinen Wasser abpumpen, das in die Schächte einströmte, Luft zuführen und die Bergleute in immer größere Tiefen bringen.

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