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Computer-Rollenspiele: Das Böse in mir

“Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen
kannst, dass sie allgemeines Gesetz wird.” Immanuel Kant machte diesen Satz zum
Grundprinzip der Ethik. Und ich bin ein Mensch, der sich nie vom mentalen Flash
des Kategorischen Imperativs erholt hat. Ich sehe immer noch meinen
Philosophie-Lehrer vor mir, wie er in dem Satz das “durch” unterstreicht und
mit den dürren Fingern darauf herumklopft. Seitdem handle ich nur nach dieser Maxime.
Im Großen und Ganzen.

Selbst in Rollenspielen, wenn ich also meinen Charakter selbst
erschaffen kann, mag ich kein Arschloch sein. Vielleicht fand ich es testweise
als Teenager cool, jemanden zu verkörpern, dem ich nicht mal auf 100 Meter
Entfernung zuprosten würde. Aber ich bin kein Teenager mehr. Inzwischen poche
ich auf Charaktere, mit denen ich mich irgendwie anfreunden kann. Sie müssen nicht
genau meinem moralischen Kompass folgen, aber schon irgendeinem.

Sehr viele Spielhelden haben keinen Kompass – höchstens einen,
der bei Gerichtsverhandlungen zu hitzigen Diskussionen über Schuldfähigkeit
führen könnte. All die gebrochenen, bärtigen Helden, die das Medium bevölkern
und die trotz unzähliger Morde vom Publikum begnadigt werden, weil sie den
Verlust von Frau, Sohn und/oder Tochter nicht verkraften – ich kann sie nicht
mehr ertragen. In Rollenspielen verliebe ich mich jedes Mal in die Vorstellung
eines komplexen Charakters, der seinem eigenen Weg folgt, der auch mal eine
schlechte Entscheidung fällt. Aber sobald ich das erste weinende Kind am
Straßenrand sehe, schenke ihm meine komplette Ausrüstung.

Dagegen hätte auch Kant nichts sagen können

So ist es mir natürlich auch in KOTOR gegangen, in Star Wars:
Knights of the Old Republic
, einem Rollenspiel des ausgehenden
BioWare-Frühwerks. Ich war immer der Gute und habe mich dabei geärgert, weil
die Guten in Star Wars so langweilig sind. Aber jetzt habe ich endlich einen
guten Grund, auf die dunkle Seite zu wechseln. Jetzt bin ich professionell
böse, nur für diesen Artikel. Ich schaue mir in dem sicheren Rahmen einer
Simulation an, wie es sich anfühlt, als das letzte, lügende Aas durchs Leben zu
gehen. Ich kann gegen den Kategorischen Imperativ verstoßen und mir die
Folgeschäden ohne lähmende Gewissensbisse anschauen. Dagegen hätte auch Kant
nichts sagen können.

Und anfangs klappt das erstaunlich gut.

Die Präsentation macht es mir leichter. Als ich das Computerspiel
Anfang der 2000er-Jahre erstmals auf einer uralten Xbox vor einem Röhrenfernseher
zockte, hielt ich es ich für ein modernes, ambitioniertes Rollenspiel. Für
diesen Text hole ich es erneut hervor und erschrecke mich ein bisschen über die
Grafik, KOTOR ist erbärmlich gealtert.
Es will aussehen wie ein Kinofilm, kann aber nicht. Schon das 4:3-Bild und die
schlichten Kulissen sehen nicht nach Zukunft aus, eher nach Fernsehspielen der
Vorwendezeit, alles ist eckig und verwaschen. Die Dialoge klingen unfassbar
gestelzt, lustlos eingelesen. Damals brauchte ich viel mehr Zeit, weil die
Ladezeiten länger waren. Heute schießt der Ladebalken von links nach rechts, auch
das nimmt dem Spiel seine Gravität.

Computer-Rollenspiele: Dieser Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe des Magazins "WASD", das sich in Essays mit Games beschäftigt. In dieser Ausgabe geht es um Betrug in Computerspielen.

Dieser Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe des Magazins “WASD”, das sich in Essays mit Games beschäftigt. In dieser Ausgabe geht es um Betrug in Computerspielen.
© WASD

Die ersten moralischen Entscheidungen wiegen nichts. Ich habe
als Spielcharakter natürlich den Gauner gewählt. Er wird von Alarmglocken auf
einem riesigen Raumschiff geweckt, bald fliegt der Laden in die Luft, und ich
soll versuchen, irgendeine Bastila zu retten. Ich will nicht, ich protestiere,
aber mein Tutorialkollege moderiert den Protest unaufgeregt ab, ich bekomme
“Dunkle-Seite-Punkte”, muss aber trotzdem mitmachen. Wenig später sieht der
Kollege selbst ein, dass wir abhauen müssen. Auf dem Weg zur Rettungskapsel
pflastern Leichen meinen Weg, aber das ist alles Notwehr. Immerhin darf ich
feige zurückbleiben und meinen Kollegen alleine kämpfen lassen. Aber das wird
vom Spiel in keiner Form gewürdigt. Letztendlich beschließt er von ganz
alleine, dass er sich für mich opfern muss.

Zum Ende des Tutorials fliehe ich aus dem explodierenden Schiff,
stürze auf einen Planeten und werde von Carth geweckt. Ich erinnere mich an
Carth: ein humorlos guter Bartträger des Lichts, den ich schon früher als
Musterjedi entnervt aus der Gruppe geworfen habe. Als ich ihm mittels der
Dialogoptionen erkläre, wohin er sich seine heldenhaften Widerstandspläne im
Sinne der Republik stecken kann, reagiert er sauer, aber dann passiert nichts.
Wir gehen raus. Er kommt mit. Alle Entscheidungen überlässt er
selbstverständlich mir. Und so begegne ich Dia.

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