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Arbeiterbewegung: Aufstand im Revier

Am Anfang geht es um höhere Löhne und eine Verkürzung der Schichten unter
Tage. Die Not der Arbeiter und ihrer Familien ist groß: Seit drei Jahren herrscht extremer
Hunger, im Winter friert man. Es fehlt an allem. Im Krieg sind die Reallöhne um ein Viertel
gesunken. Das soll, das muss sich jetzt ändern. Die Erwartungen nach dem 9. November 1918 sind
hoch.

Besonders drängen jene Menschen auf Verbesserungen, die wenig Bindung an die sozialdemokratische Arbeiterbewegung haben. Die Stadt Hamborn etwa im westlichen Ruhrgebiet ist von solchen Arbeitern geprägt. Innerhalb von 20 Jahren hat sich ihre Einwohnerzahl verzehnfacht, drei Viertel der männlichen Bewohner sind Arbeiter. Viele kamen aus dem ländlichen Umland oder aus den polnischen Teilen Preußens ins Ruhrgebiet, als die Firma Thyssen auf der grünen Wiese ihre Zechen hochzog.

Von Hamborn gehen nun Streiks aus, die sich schon im November in der gesamten Region ausbreiten. Mitte Dezember sind fast 30.000 Bergleute im Ausstand. Meist treten sie spontan in den Streik, in der Regel ohne Unterstützung durch die sozialdemokratisch orientierten freien Gewerkschaften. In Teilen des Ruhrgebiets finden anarchosyndikalistische Gruppen Zulauf und führen die Proteste mitunter an. In der zweiten Dezemberhälfte sterben in Gladbeck und Oberhausen mehrere Arbeiter bei Zusammenstößen mit dem Militär; in Mülheim wird das Anwesen von August und Fritz Thyssen gestürmt, zeitgenössischen Berichten zufolge können die beiden nur mit Mühe ihr Leben retten. Die Großindustriellen werden verhaftet und verbringen einige Tage im Gefängnis Moabit in Berlin.

Der Volksbeauftragte Hugo Haase (USPD) klagt, dass Verhandlungen mit den Arbeitern “dauernd durch die Spartakusleute” verhindert würden – alle radikalen Kräfte werden in diesen Monaten gern so bezeichnet. Kleinere Zugeständnisse der Zechenleitungen bewirken wenig. So greift die preußische Regierung ein: Ministerpräsident Heinrich Ströbel (USPD) handelt am 28. Dezember in Mülheim einen Kompromiss aus. Zugleich appelliert die Regierung an die Arbeiter, sich maßvoll zu verhalten; Anfang Januar 1919 erlässt sie (noch mit Beteiligung der USPD) eine Verfügung gegen “übertriebene Lohnforderungen”, welche die gesamte Wirtschaft gefährdeten.


ZEIT-Geschichte 6/2018

Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT Geschichte Nr. 6/2018. Das aktuelle Heft können Sie am Kiosk oder hier erwerben.

Während die Regierung warnt, machen die Arbeiter die Erfahrung, dass die ausgehandelten Lohnerhöhungen verpuffen, weil die Preise davongaloppieren. Die Zahl der Streikenden zieht wieder an, und unter dem Eindruck des Berliner Januaraufstandes treten weitere Arbeiter aus Solidarität in den Streik. Am 11. Januar sind 82.000 Bergleute im Ausstand, 15 Prozent aller Kumpel des rheinisch-westfälischen Reviers. Zwei Monate nach der Novemberrevolution macht sich tiefe Unzufriedenheit mit dem bisher Erreichten breit. Ein großer Teil der Arbeiterschaft sieht zudem konterrevolutionäre Kräfte auf dem Vormarsch: Die Oberste Heeresleitung ist inzwischen wieder mächtig.

Die Spitze der SPD erkennt die Gefahren von rechts nicht. Nach dem Ausscheiden der USPD aus der Revolutionsregierung Ende Dezember 1918 entscheiden Friedrich Ebert und die Mehrheitssozialdemokraten, militärisch gegen Unruhen, Streiks und Aufstände vorzugehen. Der Volksbeauftragte Gustav Noske plant, mit der Hilfe von Freikorps “eine gewisse Ordnung” in Deutschland herzustellen.

Der Essener Arbeiter- und Soldatenrat, in dem SPD, USPD und KPD vertreten sind, geht einen anderen Weg: Er setzt ein deutliches Signal und beginnt mit der Sozialisierung des Bergbaus – ganz so, wie das der Reichsrätekongress, der oberste revolutionäre Souverän, Mitte Dezember beschlossen hat. Um die Sozialisierung umzusetzen, wird ein “Volkskommissar” ernannt und eine “Neunerkommission” aus je drei Parteivertretern gegründet; ein Rätesystem soll in Zukunft die Mitbestimmung der Arbeiterschaft garantieren. Am 13. Januar bekräftigt eine Konferenz aller Arbeiter- und Soldatenräte des rheinisch-westfälischen Industriegebiets diese Beschlüsse: Die Sozialisierung soll sich am Räteprinzip orientieren, ein mehrstufiges System von Betriebsräten wird eingeführt, deren Wahl bereits für den folgenden Tag angesetzt wird.

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