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Billie Eilish: Oh, happy Pubertät!

Billie Eilishs Gesicht juckt. Mit den Hasenohren ihres Totenkopfrings kratzt sie über die Pickel an ihrem Kinn. Das war’s auch schon. Das bisschen unreine Haut ist das Einzige, was darauf hinweist, dass Billie Eilish noch eine Jugendliche ist. Wie sie klingt, wie sie singt und tanzt, wie sie Songs schreibt und wie sie redet, vor allem wie sie redet, all das lässt viele Menschen an ihrem Alter zweifeln und diese Zweifel in YouTube-Kommentarspalten tippen: “Ich kann nicht glauben, dass sie erst 16 ist.” Am 18. Dezember wird Billie Eilish 17, und sie könnte zum größten Popstar ihrer Generation werden.

Das Video, in dem sie sich das Kinn kratzt, wurde vom US-Magazin Vanity Fair hochgeladen. Es heißt: Billie Eilish: Same Interview, One Year Apart. Also dasselbe Interview mit denselben Fragen an dieselbe Person – nur im Abstand eines Jahres. Einmal gefilmt, als Billie Eilish 15 war, einmal mit 16. Von innen erlebt ist während der Pubertät jedes Jahr irre aufregend, von außen betrachtet passiert meist gar nicht so viel Wildes: vielleicht der Roller-Führerschein, vielleicht ein Schulabschluss und der Ausbildungsstart, vielleicht der erste Sex. Bei Billie Eilish war in diesem einen Jahr tatsächlich was los: ein Dutzend Singles, etliche Konzerte, Auftritte bei Ellen De Generes und Jimmy Fallon, fast zehn Millionen Follower auf Instagram. Dave Grohl, der Sänger der Foo Fighters, covert zusammen mit seiner Tochter einen Song von Billie Eilish. Jared Leto, Hollywoodstar und Sänger der Band 30 Seconds To Mars, holt sie während eines Konzerts auf die Bühne und spielt ihren Lieblingssong mit ihr. Sie fliegt nach Tokio, trifft die Künstlerikone Takashi Murakami, tritt in US-Talkshows und auf Festivals auf.

Ausgelöst hat diesen Wahnsinn ein Song, den Billie Eilish Pirate Baird O’Connell (ja, so heißt sie wirklich) 2015 (ja, da war sie 13) zusammen mit ihrem sechs Jahre älteren Bruder Finneas für eine Tanzaufführung aufgenommen hat: Ocean Eyes. Eine reduzierte, sphärische Liebeshymne im Dreiertakt mit einfachem Beat, die Eilish mit sanfter Stimme singt. Und das scheint auch alles zu sein, was es braucht: Billie und ihren Bruder Finneas, mit dem sie bis heute an allen Songs arbeitet. Sie war acht, als die Eltern sie im Los Angeles Children’s Chorus angemeldet haben. Nun hört sie sich an wie eine Mischung aus Banks und Florence Welch und Lana Del Rey, vibrierend zwischen Teenagerleiden und Weltschmerz. Billie und ihr Bruder luden den Song damals bei Soundcloud hoch, um ihn dem Tanzlehrer für die Choreographie zu schicken. Und so rasant, wie es nur im Internet geht, wurde er ein Hit. Wenige Wochen später unterschrieb Billie Eilish einen Vertrag bei dem Riesenlabel Interscope.

Poppessimisten schalten jetzt ab, denn da kann es sich ja nur um ein kalkuliertes, seelenloses Musikprodukt handeln. Aber Billie ist Billie geblieben und vermutlich genau deswegen so wirkungsvoll. Sie trägt immer noch am liebsten Basketballshorts und präsentiert ihre weißen Beinchen mit den aufgeschlagenen Knien auf Pressefotos. Sie färbt ihre Haare blau und spricht offen über ihre Depressionen und Tourette-Ticks. Ihr Bruder und ihre Eltern sind mit ihr auf Tour. Und sie singt immer noch melancholische Lieder, denen man nicht anhört, dass ein Teenager sie geschrieben hat.

Wie sich Billie Eilish in einem Jahr verändert hat, kann man im Interview mit der Vanity Fair bestens nachvollziehen. Das liegt nicht zuletzt daran, wie offen, reflektiert, frei, unverblümt sie antwortet. So spricht niemand, dem Agenten sagen, was zu tun ist. Man sieht aber auch, wie das Musikgeschäft und der ständige Umgang mit sozialen Medien ihr junges Leben unter Druck gesetzt haben. Nach den meisten Antworten im Video lächelt die ältere Billie Eilish. Es ist das schwache Grinsen von jemandem, der gleich in Tränen ausbricht und sich noch an ein Lächeln klammert, bevor ihm das Gesicht entgleitet. “Sie sieht so gebrochen aus, ich weine”, ist der Top-User-Kommentar darunter. 95.000 Menschen haben ihn gelikt.

Das Internet ist voll mit Listen von Teenies, die zu früh ins Rampenlicht gezerrt wurden: “Das wurde aus den Kinderstars”. Meist wurde aus ihnen etwas Trauriges. Oft, eigentlich immer, waren diese Jungstars fremdbestimmt. Manager und Labels, Promoter und Agenturen formten sie zu einem Idealbild, das vermutete Publikumsträume erfüllt. Billie Eilish zeigt, dass es auch ohne Formvorgaben geht.

Natürlich könnte auch sie mal in einer traurigen Fotostrecke enden. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie nächstes Jahr wieder vor der Kamera bei Vanity Fair sitzt und sich selbst kommentiert. Was bis dahin passiert? Vielleicht macht sie ihren Führerschein, hat keine Pickel mehr und ist einer der größten US-Popstars. Bestimmt werden Menschen sagen: “Ich kann nicht glauben, dass sie erst 17 ist.” (Ja, sie ist es wirklich.)

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