/Neoliberalismus: Mit Europaträumen betankt man kein Auto

Neoliberalismus: Mit Europaträumen betankt man kein Auto

Wer
ist schuld am
französischen
Aufstand? Selbstverständlich
Emmanuel
Macron
, denn
mit
seinen arroganten
Sprüchen und
seiner
arroganten Politik reizte
er
die
Bevölkerung bis aufs Blut. Was rief er einem
Arbeitslosen zu? “Ich brauche nur über die Straße zu gehen und
würde für Sie sofort einen Job finden.” Macron,
auch
das liest man, sei
der Sonnenkönig des Neoliberalismus kurz vor dessen Untergang: Auf
dem sinkenden Schiff klettern die Wirtschaftskapitäne
persönlich
auf
die Brücke und übernehmen
das
Kommando,
vorneweg
der Immobilienmakler
Donald Trump,
dahinter
der
Investmentbanker Emmanuel Macron.
So
hätte der
linke Soziologe Didier Eribon,
Autor des Longsellers Rückkehr nach Reims, also recht
behalten. Wer
Neoliberalismus sät, der
wird
Revolution ernten. “Das
ist nicht mein Präsident!”

Zweifellos
hat sich Macron
größte
Mühe
gegeben,
um als Prachtexemplar
des Geldadels
dazustehen,
als smarter
Zögling
der Bourgeoisie.
Der
Eliteschüler war
Assistent des (gar
nicht elitären) Philosophen
Paul Ricœur und
glänzte im Spiegel-Interview
mit feinen
Hegel-Kenntnissen.
Das
alles,
so scheint es nun,
war Augenwischerei. Kultur
ist für
Macron bloß
die
Maske des Kapitals, er
kennt
die Codes der Ausgrenzung, vermutlich singt
er sie im Schlaf.
“Die
beste Art, sich einen Anzug zu leisten, ist zu arbeiten.” Auch
wenn es Macron in
seiner Fernsehansprache
leidtat
:
Das
war
Klassenkampf
von oben. Der
Präsident
beurteilt
die Bürger nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit und pudert

seine Verachtung für Minderleister mit der Arroganz kosmopolitischer
Eliten. Der
Rest waren
Lohndrückerei
und,
ganz wichtig, erste
Hilfe
für
die
armen
Reichen
.
Die Crème
de la Crème, in
diesem Fall die oberen
fünf Prozent, hat
dank Macron nun
mehr
Geld
auf
ihrem Konto, schließlich lässt
sie ihr Kapital
hart für
sich arbeiten.
Im
Gegenzug
mussten französische
Rentner
eine
Sozialsteuer zahlen, eine Maßnahme, die Macron nach dem
Protest
der Gelbwesten wieder zurückgenommen hat.

Doch
warum war der Mann, den viele für einen kapitalistischen
Bonapartisten halten, noch vor Kurzem ein Held und Hoffnungsträger?
Warum faszinierte er liberale Intellektuelle? Hatten sie sich von der
stilistischen Eleganz seiner großartigen Reden blenden lassen? So
sieht es aus, doch so ist es nicht. 

In Wahrheit verfolgte Macron ein
lang vorbereitetes Projekt: Er wollte Europa neu gründen. Wie
ausgefeilt seine Pläne waren, bewies schon die panische Reaktion
seiner politischen Gegner. Die Rechten um Marine Le Pen hassten sie,
weil sie Europa nicht ausbauen, sondern zerstören wollten. Und die
Linksnationalisten um Jean-Luc Mélenchon “durchschauten” Macrons
Europa-Projekt als Finte des Ancién Régime, als Täuschungsmanöver
der herrschenden Klasse. Einmal Banker, immer Banker.

Viel
geschickter verhielten sich die ordoliberalen Politiker in
Deutschland. Zunächst lobten sie Macron für seine schönen Reden,
um ihn dann aus der Deckung heraus anzugreifen. Anders als die
allwissende Linke hatten sie seine Texte nämlich genau gelesen und
spontan Witterung aufgenommen: Macrons Projekt roch nach Häresie –
in ihren Augen war der ehemalige Investmentbanker drauf und dran, der
reinen (Wirtschafts-)Lehre abzuschwören und dem Kloster der
irrtumsfreien ökonomischen Vernunft den Rücken zu kehren.

Er glaubt nicht an das Dogma des Wettbewerbs

Sie
hatten recht. Macron war zwar kein Verräter, aber er hatte den
Dogmenglauben an den allein seligmachenden Wettbewerb verloren. Auch
seine Idee, die Eurozone zu parlamentarisieren, löste akute Ängste
aus. Denn wer sollte Interesse an einer Demokratisierung der
informell tagenden Eurogruppe haben? Ein Interesse daran, deren
Prozeduren öffentlich zu machen und (vermeintlich) neutrale
ökonomische Fragen wieder in politische Fragen zu verwandeln? Die
deutsche Kanzlerin gewiss nicht. Und Wolfgang Schäuble erst recht
nicht.

Das
ist Geschichte. In diesen Tagen scheinen Macrons Europapläne unter
brennenden Barrikaden begraben worden zu sein, keiner spricht mehr
darüber. Doch man sollte schon wissen, welches Programm man zu Grabe
trägt, wenn man den Präsidenten lieber heute als morgen aus dem Amt
jagen möchte.

Nur
zur Erinnerung: Der erste, kurz nach der Trump-Wahl formulierte
Gedanke, sozusagen Macrons Präambel, lautete, dass Europa künftig
auf sich gestellt sei und ohne den Schutz Amerikas auskommen müsse.
Doch kein Nationalstaat solle sich einbilden, er käme angesichts
einer aufgewühlten Weltlage allein über die Runden – gegen die
Erpressungsmacht der Megakonzerne habe er keine Chance. “Die
Zeiten sind vorbei, da unsere Volkswirtschaften sich so gestalten
können, als wären sie in einem abgeschlossenen System.” Auch
schwere Krise könne ein Staat nicht allein durchstehen, “wenn er
nicht mehr über seine Währungspolitik entscheidet”. Ganz zu
schweigen von den Menschheitsproblemen wie Klimawandel und Migration.
Und was tun? “Allein Europa”, so Macron, “kann uns eine
Handlungsfähigkeit in der Welt geben.”

Bedauerlicherweise, so seine Pointe, sei die europäische Union in einer jämmerlichen
Verfassung, gelähmt, ohne jede Perspektive und vom “Bürgerkrieg”
zwischen Rechten und Liberalen zerfressen. Darum, so Macron vor
seinem Amtsantritt, brauche die EU ein Zukunftsprogramm, mehr noch: Sie müsse im Kern neu gegründet werden. Deutschland und Frankreich
sollten als Zugpferde vorangehen und die Fehler der Vergangenheit
korrigieren.

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