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UN-Klimagipfel: Ein Dokument, 185 Streitfragen

Jeder Klimagipfel streitet über neue Themen, doch eines
ändert sich nie: In den Dokumenten, die als Grundlage der Verhandlung dienen,
werden strittige Punkte in Klammern gesetzt. Sie markieren den Dissens. Das 144
Seiten lange Dokument
, das die polnische Gipfelpräsidentschaft am Freitagvormittag veröffentlichte, enthält eckige Klammern an 185
Stellen. Viele Details sind also noch offen.

Dabei sollten die Verhandlungen eigentlich am Freitagabend zu Ende
gehen. Doch in Katowice stellen sich alle darauf ein, dass die Konferenzteilnehmer
mindestens noch bis Samstag tagen werden. Zwischendurch war sogar berichtet
worden, die polnische Präsidentschaft denke darüber nach, den Gipfel
um mehrere Tage verlängern. Die Meldung war offenbar Satire.
Erfahrene Unterhändler kennen das Spiel schon: Verlängerungen gehören zum
Geschäft. Sie erhöhen den Druck, sich auf den letzten Metern doch noch zu einigen.

Die Bundesumweltministerin und die Chefs der deutschen
Delegation schienen am Freitagmorgen jedenfalls bemerkenswert entspannt. “Es
sieht gut aus”, sagte Svenja Schulze zu Journalisten. “Wir befinden uns auf dem
Weg zur Zielgeraden.” Der aktuelle Entwurf des Abschlussdokuments sei aber noch
nicht der abschließende Text. In der Nacht sei “deutlich geworden”, dass noch
nicht alle Delegationen mit allen Punkten zufrieden seien.

Dabei schien die Aufgabe leicht: In Katowice sollten die
Unterhändler sich auf Regeln einigen, mit denen das Pariser Klimaabkommen in
praktische Politik umgesetzt werden kann. Der Vertrag war vor drei Jahren unter
großem Jubel verabschiedet worden – dabei hatte er Schwächen. Zum Beispiel
formulierte das Pariser Abkommen zwar Ziele für den Klimaschutz, ließ aber offen, wie sie erreicht
werden sollten. In Katowice wollte man die Lücke füllen.

Die Welt hat sich verändert

Damals in Paris hielt man den Aufschub für kein
größeres Problem. Schließlich bewiesen alle Staaten guten Willen. Doch den haben manche seither verloren. Die Welt hat sich verändert: Die USA wollen aus dem Klimavertrag
aussteigen, Brasilien steht ihm zumindest skeptisch gegenüber, und ganz
generell hat die Bereitschaft abgenommen, weltweite Probleme gemeinsam zu
regeln. Deshalb finden die Verhandlungen in Katowice unter erschwerten
Bedingungen statt. Auch der Handelsstreit zwischen den USA und China belaste die Verhandlungen, sagte der Umweltminister von Costa Rica, Carlos Manuel Rodríguez.

Fünf Punkte sind am Freitag noch besonders umstritten:

  • Wie verhält sich der Gipfel zum Sonderbericht
    des Weltklimarats über das 1,5-Grad-Ziel? Der hatte im Herbst klargemacht, wie
    wichtig es wäre, die Erderwärmung nicht erst bei zwei Grad plus zu stoppen,
    sondern deutlich darunter. In Katowice fordern vor allem die armen
    Entwicklungsländer, der Gipfel müsse den Bericht in starken Worten anerkennen –
    doch die
    USA, Russland, Saudi-Arabien und Kuwait sträuben sich
    . Der
    Kompromissvorschlag lautet jetzt: Der Gipfel “drückt dem Weltklimarat seine
    Wertschätzung und seinen Dank für den Report aus”. Wahrscheinlich ist das zu wenig.
  • Wie behandelt die Abschlusserklärung Klimaschäden
    und Verluste? Auch dieser Punkt ist vor allem für die armen Entwicklungsländer
    entscheidend. Der Klimawandel trifft sie besonders hart. Sie können sich kaum selbst schützen, sondern brauchen die Unterstützung wohlhabender Staaten. Der
    Entwurf des Abschlussdokuments aber verbannt die Klimaschäden in
    eine Fußnote: Das signalisiert Missachtung. Widerstand ist absehbar.
  • Gemäß dem Pariser Abkommen entscheidet jeder
    Staat freiwillig, welche Klimaziele er bei den Vereinten Nationen
    einreicht. Doch die bisherigen Versprechen führen eher zu einer
    Erwärmung von drei Grad plus – falls sie überhaupt erfüllt werden. Deshalb wäre es
    wichtig, die nationalen Klimaziele möglichst bald und entschieden zu
    verbessern. Die armen Länder fordern: Schon 2020 müssen neue Ziele vorliegen, und das Abschlussdokument von
    Katowice muss das möglichst klar formulieren.
  • Klimaziele sind nichts wert, wenn nicht
    überprüft werden kann, ob ein Staat sich an seine Versprechen hält. In Katowice
    sollen die Regeln dafür festgelegt werden. Jetzt dreht sich der Streit um die Frage,
    ob und wie lange für Schwellen- und Entwicklungsländer Sonderregeln gelten sollen. Der Grund: Arme Staaten
    sind oft nicht in der Lage, genauso detailliert zu berichten wie die
    Industrieländer. Viele haben beispielsweise nicht genügend Daten. Während die
    USA in Katowice auf strenge Regeln für alle bestanden, forderte vor allem China
    mehr Flexibilität. Zuletzt
    schien die Delegation der Volksrepublik aber einzulenken.
  • Das Pariser Abkommen eröffnet den
    Unterzeichnerstaaten die Möglichkeit, Märkte zum Handel mit
    Emissionszertifikaten einzurichten. Die gibt es mancherorts schon,
    beispielsweise in der Europäischen Union. Doch in Zukunft soll der Handel auch
    über Kontinente hinweg funktionieren. Damit er – anders als in der EU – das Ziel
    erreicht, den Ausstoß von Treibhausgasen nachhaltig zu senken, müssen die
    Rahmenbedingungen sorgfältig gesetzt werden. Um die Details wird in Katowice
    noch heftig gestritten.

Voraussichtlich werden die Delegationen unter der Regie des polnischen
Gipfelpräsidenten Michał
Kurtyka
den ganzen Freitag weiter verhandeln. Und solange sie sich nicht über alles
einig sind, ist noch gar nichts beschlossen. Auch das gehört zum Spiel auf
Klimagipfeln. “Alles ist jetzt Verhandlungsmasse”, sagte Yamide Dagnet,
Klimaexpertin des Washingtoner Thinktanks World Resources Institute.

Um eine Übereinkunft zu erreichen, werden sich alle
Parteien aufeinander zubewegen müssen. Wie lange das dauert, ist noch nicht absehbar. Ob
der Gipfel ein Erfolg wird, hängt am Ende aber wohl nicht nur an den Details, auf
die sich die Parteien einigen. Wenn sie sich einigen, drei Jahre nach Paris und
unter erschwerten Bedingungen, dann ist alleine das ein positives Signal.

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