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Handyverbot: Smartphone im Unterricht oder lieber doch nicht?

Auf dem Schulhof der Kastanienbaum-Grundschule in Berlin Mitte spielen Kinder Fangen. Manche schreien laut und grell. Doch der 12-jährigen Sarwien gefällt der Lärm: “Ich finde es gut, dass hier nicht alle auf ihr Handy gucken, sondern miteinander spielen.” Das liege auch am Handyverbot, das an der Schule gilt, sagt Sarwien. Zu Hause “hänge ich sehr viel am Handy”, gibt sie zu. Sie guckt sich oft Videos auf YouTube an oder dreht eigene Musikvideos mit der App Tik Tok. Dabei geht es etwa darum, die Lippen synchron zu einem Playbacklied zu bewegen. Vier Stunden am Tag verbringe sie zu Hause so, sagt Sarwien. Oft nimmt ihr Vater ihr das Handy weg. Die Stimmung ist dann regelmäßig im Keller.

So ein Streit ums Handy kennt fast jede Familie in Deutschland. Und auch für die Schulen ist das Smartphone ein Gerät, das Fluch und Segen zugleich ist. Sind handyfreie Zeiten sinnvoll? Oder soll das Handy in der Schule erlaubt werden?

Alexander Baldus, Lehrer an der Kastanienbaum-Schule, ein junger, engagierter Typ mit Vollbart, grauem Skateboardsweater und weißen Sneakern, findet es wichtig, Handys in den Unterricht einzubeziehen. Der 30-Jährige sagt: “Es ist im Alltag der Kinder dauerpräsent. Zu Hause lernen viele den bewussten Umgang damit nicht. Wir in der Schule müssen das übernehmen.” Man könne die Lebensrealität nicht ausblenden.

Aber die Schülerinnen und Schüler sollen bei ihm selbst darüber entscheiden. Drei Tage sammeln die Kinder Pro- oder Kontra-Argumente in seinem Projektunterricht. Am Anfang lässt Baldus die Schüler der 6a abstimmen. Eine knappe Mehrheit ist dafür, das Handyverbot abzuschaffen. Ein Leben ohne Smartphone kann sich hier kein Schüler vorstellen. “Es ist so etwas wie das Lieblingsspielzeug”, sagt Lara (11). Warum das so ist, kann sie selbst nicht erklären, aber “das Handy zieht mich einfach irgendwie an”. Viele der Kinder können ihre Smartphonenutzung auch positiv verkaufen: “Nur wenn wir das Handy im Unterricht benutzen, dann können wir einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Gerät lernen”, begründet Fritz, elf Jahre, dass er für Handys im Unterricht ist.

Lehrmaterialen stehen online zur Verfügung

Ein Argument, das dem Verein Deutschland sicher im Netz gefallen würde. Aus dem Verein ist das Projekt Digitale Bildung trifft Schule (Digibits) entstanden. Es unterstützt den Projektunterricht an der Kastanienbaum-Grundschule. Hinter Digibits stehen Sponsoren wie Facebook Deutschland oder der Handyhersteller Huawei. Schirmherr ist aber das Bundesinnenministerium. Digibits produziert Lehrmaterialien, die Lehrern zeigen, wie sie Tablets und Smartphones im Unterricht sinnvoll einsetzen können, egal ob in Mathe oder Deutsch. “Ich glaube nicht, dass ein Unterrichtsfach Handy oder ein Computerkurs die Lösung sind zu mehr digitaler Kompetenz”, sagt Digibits-Geschäftsführer Michael Littger.

Auch die Digitalstrategie der Kultusministerkonferenz sieht in Zukunft kein eigenes Fach für die digitale Bildung vor, sondern diese soll “integrativer Teil der Fachcurricula aller Fächer” werden. Die Kastanienbaum-Grundschule probiert hier also genau das, was durch den Digitalpakt in ganz Deutschland Standard werden soll, sollte es bald eine Einigung zwischen Bund und Ländern geben. Allerdings noch mit den eigenen Handys der Kinder. Die Schulen sollen laut Digitalpakt aber nicht nur mit WLAN und Computern ausgestattet werden, die Lehrer sollen auch digitale Lehrmaterialien für ihre Fächer und Fortbildungen bekommen. Sodass sie bestenfalls nicht auf die Angebote der Firmen angewiesen sind.

Allerdings sind laut einer Umfrage des Spiegel 86 Prozent aller Deutschen für ein generelles Handyverbot an der Schule. Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands hat sich für ein Verbot ausgesprochen. Prominentester Handygegner ist Manfred Spitzer, Professor für Neurowissenschaft aus Ulm. In seinem Buch Die Smartphone-Epidemie vergleicht er das Smartphone gerne mit Asbest, Heroin oder Alkohol. “Die gesundheitlichen Auswirkungen von Smartphones sind weitaus größer als die anderer Gifte (Blei, Asbest, Zigarettenrauch, Alkohol)”, schreibt er gar. Der Einsatz des Smartphones an Schulen sei so etwas wie ein staatlich verordnetes Suchtprogramm. Ihm gegenüber stehen Schüler, Lehrer und Eltern, die über der Frage brüten, ob wir eine Generation von digital verlorenen Menschen produzieren, weil wir ihnen zu wenig beibringen.

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