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Brexit-Gipfel: Theresa May zwischen den roten Linien

Gerade 20 Stunden ist das überstandene
Misstrauensvotum her, da stellt sich Theresa May der nächsten Herausforderung.
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel will sie an diesem Donnerstagabend einmal mehr mit
den anderen 27 Staats- und Regierungschefs der EU über die Brexit-Bedingungen
verhandeln. “Ich werde den EU-Regierungen sagen, was wir an rechtlichen
Versicherungen brauchen”, sagte sie vor den Beratungen in Brüssel.

Nahtlos
setzt May ihreLast-minute-Diplomatie der vergangenen Tage fort: Noch vor dem
Beginn des eigentlichen Gipfels traf sie sich mit EU-Ratspräsident Donald Tusk
und mit dem irischen Regierungschef Leo Varadkar. May will vor allem
weitere Zugeständnisse der EU beim sogenannten Backstop, der Auffangregel,
falls die EU und Großbritannien sich in den kommenden Jahren nicht auf ein
Handelsabkommen einigen können. Die Brexiteers schüren die Angst, dass
Nordirland am Ende faktisch endlos in einer Zollunion mit der EU
festsitzen könne, falls sich Brüssel und
London nicht einigen.

Mit ihrem Anliegen ist May allerdings
auf einer fast aussichtslosen Mission – in London, aber auch in Brüssel. In
London braucht sie im Unterhaus für den 585 Seiten langen Austrittsvertrag und
die politische Erklärung, die sie mit der EU ausgehandelt hat, eine Mehrheit im
Parlament – und davon ist sie bislang weit entfernt. Auf den letzten Drücker
hatte sie daher am Dienstag die Abstimmung im Unterhaus über den Brexit-Deal verschoben.
Es folgte: ein Zugeständnis an ihre Kritiker mit der Ankündigung, bei den
nächsten Wahlen nicht anzutreten. Und ein Misstrauensvotum, das sie nur knapp
überstanden hat: Gerade einmal 200 der 317 konservativen Abgeordneten ihrer
Fraktion sprachen May die Unterstützung aus.

“Hier geht es der EU ums Prinzip”

Auf dem Kontinent sieht es nicht besser
aus. Seit Tagen schon betonen EU-Vertreter die roten Linien. Ob Ratspräsident
Donald Tusk oder Kommissionschef Jean-Claude Juncker: Alle machen klar, dass Änderungen
oder Neuverhandlungen nicht möglich seien. Nach eineinhalb Jahren Verhandlungen will
die EU das Abkommen nicht noch einmal aufschnüren.

Brexit – May wird 2022 nicht erneut kandidieren
Premierministerin Theresa May hätte die konservative Partei in Großbritannien gerne weiter angeführt. Für die Wahl 2022 sehe sie aber Vorteile in einer neuen Parteispitze.


© Foto: Geert Vanden Wijngaert

Die Logik dahinter ist
simpel: Wenn man einmal anfängt, neu zu verhandeln, könnten sich all die
Hardliner in London ermutigt fühlen, noch mehr einzufordern. Wo ist dann
Schluss? Die Brexiteers schießen sich vor allem auf die Backstop-Regelung ein.
Sie wollen zum einen die Zusicherung, dass der Backstop zeitlich befristet ist.
Und sie fordern, dass die Briten ihn im Notfall auch einseitig aufkündigen
können – was am Ende wiederum zu einer harten Grenze zwischen Irland und
Nordirland führen könnte.

“Dann wäre der Backstop aber de facto keine
Sicherheitsgarantie mehr, die die harte Grenze verhindert”, sagt Larissa Brunner, Brexit-Expertin am European Policy Center in Brüssel. “Hier geht es
der EU ums Prinzip.” Im Austrittsvertrag heißt es, dass der Backstop so lange
gelten soll, bis die EU und Großbritannien ein Freihandelsabkommen beschlossen haben. “Für die Briten ist genau diese Möglichkeit, Freihandelsabkommen mit Drittstaaten abzuschließen, der letzte verbliebene mögliche Vorteil des Brexits”, sagt Brunner. “Alle anderen wirtschaftlichen Versprechungen der Brexit-Befürworter haben sich nach den langen Verhandlungen als heiße Luft erwiesen.”

Was also können die Staats- und
Regierungschefs May an diesem Donnerstag in Brüssel anbieten? Tatsächlich bemüht
sich die EU schon seit Wochen, ihr Brücken zu bauen. Der Tonfall ist
ein komplett anderer im Vergleich zum Treffen vor knapp drei Monaten in
Salzburg. Nachdem May dort ungewöhnlich forsch ihre
Brexit-Vorstellungen präsentierte, ließen die Staats- und Regierungschefs sie abblitzen.
EU-Ratspräsident Tusk veröffentlichte sogar danach noch ein Foto auf Instagram, das ihn und May am Kuchenbüffet zeigt. “Ein Stück Kuchen,
vielleicht? Aber keine Kirschen”, stand darunter – eine Anspielung auf die
Rosinenpickerei der Briten. Ein diplomatischer Tiefpunkt der
Brexit-Verhandlungen.

“Wir wollen ja alle helfen”

Von solchen Sticheleien ist die EU
diesmal weit entfernt. “Da gibt es schon noch Spielraum, den man nutzen
sollte”, formulierte es der österreichische Kanzler Sebastian Kurz, der die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Und auch Kanzlerin Angela Merkel kündigte am
Nachmittag an, dass man über “zusätzliche Versicherungen” reden könne.

Am Ende wird aber wohl nicht viel mehr
als ein Papier herauskommen, in dem die EU versichert, dass der Backstop
nur so lange gilt, bis ein Handelsabkommen zwischen EU und Großbritannien
abgeschlossen ist. Nichts Neues also, clarification heißt das im Diplomatendeutsch.
Ziel sei es, den Backstop zu “entmystifizieren”, sagte der niederländische
Premierminister Mark Rutte, der May erst am Dienstag noch in Den Haag empfangen
hatte, um bilateral über den Brexit-Deal zu sprechen.

Ob das Klärungspapier May
im Januar, wenn das Parlament nun über den Vertrag abstimmen soll, tatsächlich
überzeugt, ist völlig offen. “Wir wollen ja alle helfen”, sagt der finnische
Premier Juha Sipilä, “aber etwas rechtlich Verbindliches wird schwierig.”

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