/UN-Klimakonferenz: Die Welt brennt, der Gipfel streitet

UN-Klimakonferenz: Die Welt brennt, der Gipfel streitet

Klarer als Hoesung Lee hätte man die Botschaft
kaum in Worte fassen können
. “Jedes bisschen Erwärmung macht einen
Unterschied”, sagte der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC und redete den Delegierten in
Katowice damit ins Gewissen. “Jedes Jahr macht einen Unterschied. Jede Wahl (die wir
treffen), macht einen Unterschied!”

Lee sprach zur Eröffnung des High-Level-Segments des
Klimagipfels – so wird im Konferenzjargon die Phase genannt, in der die Ministerinnen
und Minister die Verhandlungen von ihren technischen Fachleuten übernehmen. Dieser Teil begann am Dienstag. Streng
genommen erzählte Lee den Anwesenden nichts Neues, sondern wiederholte nur die
wichtigsten Erkenntnisse des IPCC-Sonderberichts zum 1,5-Grad-Ziel. In Paris hatten die 195 Unterzeichner vereinbart, den Temperaturanstieg auf eine Marke “deutlich unter zwei Grad Celsius” zu beschränken und “Anstrengungen in Richtung 1,5 Grad zu unternehmen”.

Doch an ebendiesem 1,5-Grad-Bericht hat sich vor einigen Tagen ein Streit entzündet, der den Gipfel immer noch belastet.
Lees Rede war deshalb vor allem eine politische Mahnung an die Delegierten, es in
Katowice nicht zu versemmeln.

Denn
diese Konferenz ist wichtig: Zwar werden auf ihr vordergründig technische Details verhandelt
. Doch wenn die nicht stimmen, kann aus dem
Pariser Klimavertrag keine sinnvolle praktische Klimapolitik werden. Und wie sehr
die Zeit drängt, hat gerade der 1,5-Grad-Bericht gezeigt
. “Wir können es uns nicht
leisten, noch ein Jahr zu verlieren”, sagte Vanessa Pérez-Cirera von der Umweltorganisation WWF in Katowice. “Wenn
wir jetzt keinen politischen Willen aufbringen, wann dann? Die Welt brennt.”

Streit um 1,5 Grad

Dennoch weigerten sich am Wochenende in Katowice die USA,
Saudi-Arabien, Russland und Kuwait, den Report zu “begrüßen”. Sie bestanden
darauf, dass der Gipfel den Bericht nur “zur Kenntnis nehmen” solle. Dazu waren
die Diplomatinnen und Diplomaten anderer Länder aber nicht bereit. Sie fanden das Ansinnen
absurd, zumal die Unterzeichnerländer des Pariser Vertrags den Bericht selbst beim
Klimarat bestellt und ihn bei seiner Veröffentlichung auch alle angenommen
hatten – auch die USA. Auch Saudi-Arabien.

“Begrüßen” oder “zur Kenntnis nehmen”? Was wie Haarspalterei klingt, verhagelt den Delegierten auch
am Mittwoch noch die Stimmung. Jetzt feilscht man hinter den Kulissen darüber,
mit welcher Formulierung alle Seiten leben könnten.  

Saudi-Arabien argumentiert,
der Bericht lasse Fragen offen. Unterhändler
Ayman Shasly fordert, bei aller klimapolitisch gebotenen Eile müsse klar sein,
dass die Industrieländer den größten Teil der Kosten für den Klimaschutz tragen
müssten
– das Ölland Saudi-Arabien gilt trotz seines Reichtums auf dem
Klimagipfel als Entwicklungsland, und es möchte sein Öl noch möglichst lange
verbrennen.

Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump hingegen will
schlicht jede politische Anerkennung klimawissenschaftlicher Befunde vermeiden.
Jean-Pascal van Ypersele, Klimaforscher
an der Katholischen Universität Löwen und Mitglied des Weltklimarats, kommentierte das mit leisem Spott: “Nicht einmal die Supermächte können mit dem
Klima verhandeln”, sagte er.

Streit um Ehrgeiz

Der Streit um die 1,5
Grad ist symptomatisch für Katowice. Wie
weit die Welt von den in Paris vereinbarten Zielen entfernt ist, hatte am
Dienstag der Carbon Action Tracker gezeigt
, ein Zusammenschluss von
wissenschaftlichen Instituten. Deren Forscher hatten ausgerechnet: Selbst wenn
alle Länder ihre Pariser Versprechen hielten, würde sich die Welt mit großer
Wahrscheinlichkeit eher um drei statt um 1,5 Grad Celsius erwärmen. Die
Klimaziele Deutschlands und der EU führten eher zu drei Grad plus. Die von
Russland, Saudi-Arabien und den USA zu mehr als vier Grad.

Mehr Ehrgeiz – im Gipfeljargon “Ambition” – wäre deshalb
dringend geboten. Doch drei Tage vor dem Ende der Konferenz ist in Katowice von
“Ambition” nicht viel zu spüren. Selbst die Europäische Union, die sich seit
Paris zur einer Koalition der “hochambitionierten” Länder
zählt, vermeidet den
Begriff. 

Lieber spricht Energiekommissar Miguel Arias Cañete über die Regeln
zum Pariser Abkommen. Deutschland immerhin hat den Entwicklungsländern mehr
Geld und weitere Unterstützung versprochen. “Geld hilft”, sagt dazu Vanessa Pérez-Cirera vom WWF. “Aber ohne mehr
Ambition bleibt das Regelbuch zu Paris ohne Sinn.”

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