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Misstrauensvotum: So läuft die Abstimmung gegen Theresa May ab

Die britische Premierministerin muss im Streit um das Brexit-Abkommen um ihr Amt kämpfen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Misstrauensvotum

Theresa May Brexit

May in London
© Leon Neal/Getty Images

Weniger als vier Monate vor dem
Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union
wollen konservative Abgeordnete die britische Premierministerin
Theresa May stürzen. Dazu soll noch an diesem Mittwoch eine Misstrauensabstimmung stattfinden.

Wie funktioniert die Abstimmung?

Die Abstimmung über Mays Zukunft läuft fraktionsintern, nicht im gesamten Parlament. Dies
liegt daran, dass die Ämter von Parteivorsitz und
Regierungschef eng verknüpft sind. Rechtlich stimmen die Abgeordneten der konservativen Tories über den
Parteivorsitz ab, faktisch wäre May im Fall einer Niederlage aber
zugleich auch ihren Posten als Premierministerin los. Der oder die neue
Parteivorsitzende würde dann auch Regierungschef oder Regierungschefin.

Damit das Votum überhaupt stattfindet, mussten in einem
ersten Schritt 15 Prozent der konservativen Unterhaus-Abgeordneten in einem
Brief an den zuständigen Tories-Ausschuss, das sogenannte 1922-Komitee, die
Abstimmung fordern. Diese mindestens 48 nötigen Anträge für ein solches
Verfahren kamen zusammen, wie der Ausschussvorsitzende Graham Brady am Morgen
bekannt gab.

Nun müssen die 315 Tories-Abgeordneten im Unterhaus darüber
befinden, ob sie May im Amt halten wollen oder ihr das Vertrauen entziehen. Die
geheime Abstimmung soll noch an diesem Mittwochabend zwischen 19 und 21 Uhr
deutscher Zeit stattfinden. Etwa eine Stunde später soll laut Brady das Ergebnis vorliegen.

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Was passiert, wenn May das Votum gewinnt?

Damit May die Abstimmung übersteht, müsste die Mehrheit der
Tories-Parlamentarier ihr das Vertrauen
aussprechen – also mindestens 158 der 315 Abgeordneten. Dann wäre ihre Position zwar gefestigt, denn eine
Misstrauensabstimmung kann nur einmal in zwölf Monaten stattfinden. Trotzdem
würde Mays Situation erheblich schwieriger: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie
die zerstrittene Fraktion danach wieder hinter sich vereinen kann, wäre sehr
gering. Beobachter in London schließen laut britischen Medien auch nicht aus,
dass May selbst bei einem positiven, aber eher knappen Votum als Parteichefin
zurücktritt.

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Und was passiert, wenn sie die Abstimmung verliert?

Stimmen hingegen mindestens 158 der 315 Tories-Abgeordneten gegen May, muss
sie zwingend ihr Amt als Parteivorsitzende und damit auch als Regierungschefin
niederlegen. Das 1922-Komitee muss dann die Neubesetzung des Parteivorsitzes
organisieren. Einigt sich die Fraktion auf einen Bewerber oder eine Bewerberin, geht das recht
schnell.

Sollte es aber mehrere Kandidatinnen oder Kandidaten geben, finden unter den
Tories-Abgeordneten mehrere Wahlgänge statt, bis nur noch zwei Bewerber oder Bewerberinnen
übrig sind. Diese müssten sich dann einer Urwahl unter den rund 120.000 Parteimitgliedern
stellen. Dieses Prozedere würde voraussichtlich mehrere Wochen dauern. Solange
würde May vorübergehend die Regierung weiter führen, sie selbst darf nicht
erneut für den Parteivorsitz kandidieren.

Steht das Ergebnis der Urwahl fest,
würde May bei der Queen ihren Rücktritt als Premierministerin einreichen und
zugleich den gewählten Vorsitzenden der Tories als ihren Nachfolger
vorschlagen. Der Wechsel an der Spitze der Konservativen und der Regierung
führt also nicht automatisch zu Neuwahlen. Die oppositionelle Labour-Partei
könnte aber mit einem erfolgreichen Misstrauensantrag einen Rücktritt der
Regierung erzwingen und damit Neuwahlen herbeiführen.

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Wer könnte May nachfolgen?

Sollten sich zwei Kandidaten dem Votum
der Parteimitglieder stellen, gilt es als ausgemacht, dass derjenige gewinnt,
der den härteren Brexit-Kurs vertritt – die konservative Parteibasis ist
überwiegend EU-skeptisch. Die Fraktion gilt dagegen als eher EU-freundlich.

Sollte May scheitern, könnte der frühere Außenminister Boris Johnson – einer von Mays härtesten Kritikern – als Favorit der Parteibasis um die Nachfolge antreten. Aus Protest gegen Mays Brexit-Politik war er im Juli aus
dem Kabinett ausgetreten. Allerdings lehnen ihn viele Abgeordnete ab.

Unter den Brexit-Hardlinern dürften neben Johnson auch die
früheren Brexit-Minister David Davis und Dominic Raab gute Chancen haben,
außerdem der erzkonservative May-Kritiker Jacob Rees-Mogg. Zuletzt hatte der
extravagante Millionär aber erklärt, sich nicht für den Vorsitz bewerben zu
wollen.

Die wichtigsten Kontrahenten Johnsons dürften sein
Amtsnachfolger Jeremy Hunt und Innenminister Sajid Javid sein. Beide stimmten
im Referendum 2016 für den Verbleib in der EU – allerdings gilt zumindest Javid
dennoch als EU-skeptisch und ist bei den konservativen Parteimitgliedern
beliebt. Als mögliche Nachfolger werden in London außerdem der Umwelt- und
Ernährungsminister Michael Gove sowie Andrea Leadsom genannt. Gove, einer der
bekanntesten Brexit-Aktivisten, hatte sich nach dem Rücktritt von Premier David Cameron 2016 schon erfolglos um den Parteivorsitz beworben, war aber May
unterlegen. Leadsom war im Rennen um die Cameron-Nachfolge die härteste
Konkurrentin Mays gewesen.

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Warum kam es überhaupt zu dem Misstrauensvotum?

In der konservativen Partei wird heftig über das
Brexit-Abkommen gestritten, das die Unterhändler Großbritanniens und der EU
ausgehandelt haben. Die Brexit-Hardliner um Rees-Mogg kritisieren, dass das Abkommen Großbritannien auch über den
Brexit hinaus zu eng an die EU bindet.

Besonders umstritten ist dabei der Backstop. Diese
Notfallregel soll sicherstellen, dass es nach dem EU-Austritt Großbritanniens
keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied
Irland gibt – viele fürchten bei neuen Grenzkontrollen erneute Unruhen in Nordirland.
Der Backstop sieht vor, dass das ganze Königreich zunächst in der Zollunion und
Nordirland im Binnenmarkt bleibt, bis London und Brüssel eine bessere Lösung
finden. Die Brexit-Hardliner fordern ein einseitiges Kündigungsrecht.

Rees-Mogg hatte May bereits kurz nach der Veröffentlichung
des Abkommens sein Misstrauen ausgesprochen. Die Streit eskalierte Anfang der
Woche, als May überraschend die für Dienstag angesetzte Abstimmung im Unterhaus
über das Brexit-Abkommen absagte und auf unbestimmte Zeit verschob, weil sie
mit einer klaren Niederlage rechnete.

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