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CDU: Der Konservatismus hat sich erschöpft

Dieser Beitrag ist ein aktualisierter Auszug aus Thomas Biebrichers Essay
“Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen
Konservatismus”, der am 14. Dezember im Verlag Matthes&Seitz Berlin
erscheint.

Mit dem
Hamburger Parteitag und der Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers zur neuen
Vorsitzenden endet eines der schwierigsten Jahre für die Unionsparteien in der
Geschichte der Bundesrepublik. Allenthalben ist von einer tiefen Krise des
Konservatismus die Rede, und die Enttäuschung vieler CDU-Delegierter, die in
Friedrich Merz einen Retter des konservativen “Markenkerns” imaginierten, zeigt
an, wie stark die Sehnsucht nach einer neuen konservativen Profilierung in
Teilen der Union gewachsen ist. Weitet man allerdings
den Rückblick über die Amtszeit Angela Merkels hinaus, dann erscheint die Rede
von einer erst kürzlich ausgebrochenen Krise des Konservatismus wenig angemessen.

Als die
schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl 1982 an die Macht kam, war der Begriff der “geistig-moralischen” Wende in aller Munde. Die “Wende” avancierte gar zum Etikett der ersten Kohl-Regierung, obwohl
kurioserweise keiner der liberal-konservativen Protagonisten genau
diese Formulierung je verwendet hatte. Mit Kohls Kanzlerwahl verbanden viele die Hoffnung, dass die Bundesrepublik nach einem langen sozialdemokratischen
Jahrzehnt unter Brandt und Schmidt zu ihren mit Wiederaufbau und
Wirtschaftswunder verbundenen Gründungwerten zurückkehren möge.  

CDU: Thomas Biebricher ist Politikwissenschaftler an der Universität Frankfurt. Sein Buch "Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus", auf dem dieser Beitrag beruht, erscheint im Dezember 2018 bei Matthes&Seitz Berlin.

Thomas Biebricher ist Politikwissenschaftler an der Universität Frankfurt. Sein Buch “Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus” erscheint im Dezember 2018 bei Matthes&Seitz Berlin.
© privat

Doch während der
gesamten Kanzlerschaft Helmut Kohls blieb in den entsprechenden Parteiflügeln
und Milieus die Sorge um einen konservativen Profilverlust bestehen. Immer
wieder artikulierte sich die Sorge über eine “Sozialdemokratisierung” der Union beziehungsweise eine konservative Entkernung, die sich wahlweise an Heiner Geißler und seiner Apostrophierung der “neuen sozialen Frage”, Rita Süßmuths vergleichsweise
progressiven Politik im Umgang mit Aids, der Galionsfigur der
Arbeitnehmervertreter Norbert Blüm oder auch dem Kanzler selbst festmachte,
der den harten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen immer wieder
auszuweichen schien.

Nicht Krise, sondern substanzielle Erschöpfung

Man erinnere
sich etwa an die Klage eines Jürgen Todenhöfer über die seiner Ansicht nach
fast vollständigen Marginalisierung des konservativen Flügels in der Union,
die ja nicht aus dem Jahr 2017, 2007 oder 1997 stammt, sondern bereits im Jahr
1987 geäußert wurde
, als der nationalkonservative Hauptmann der Wehrmacht a.
D. Alfred Dregger noch Fraktionsvorsitzender im Bundestag war. Damals und noch
viele Male später wurde vor einer Partei rechts von der Union gewarnt, die es
ja tatsächlich auch schon gab und die im Fall der Republikaner in den späten
Achtziger- und frühen Neunzigerjahren durchaus Achtungserfolge erzielen konnte.

Zur
Charakterisierung der Situation, in der sich Annegret Kramp-Karrenbauer nun als
neue Parteivorsitzende beweisen muss, erscheint daher weniger das Bild einer
plötzlichen Krise angemessen, sondern vielmehr die Metapher der Erschöpfung
des Konservatismus. Der zentrale Befund lautet, dass sich der deutsche
Konservatismus in den vergangenen 35 Jahren in seiner substanziellen Dimension,
nämlich was die Auszeichnung bestimmter Aspekte des Status quo als
bewahrenswert angeht, weitgehend
verbraucht hat. Entsprechende inhaltliche
Positionen von der Familien- bis zur Verteidigungspolitik wurden größtenteils aufgegeben.

Dieser Prozess vollzog sich teils im Zusammenhang mit
demografischen Veränderungen, die eine Öffnung oder Liberalisierung der Christdemokratie
schon aus rein strategischen Gründen für angezeigt erscheinen ließen. Aber er
folgt auch aus dem Verschwinden von Feindbildern wie dem real existierenden
Kommunismus oder Linksterrorismus, die noch in den Achtzigerjahren als
negative Integrationskräfte für konservative Milieus und die Union wirkten.

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