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Ukraine-Krieg: “So könnten die Kämpfe beendet werden”

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist seit Anfang 2014 in der Ukraine aktiv. Die Mitarbeiter der internationalen Organisation sollen Fakten über die Sicherheitslage sammeln, Informationen verifizieren, veröffentlichen und einen Dialog zwischen den Kriegsparteien für Waffenstillstände herstellen. Als stellvertretender Missionschef der Spezialbeobachtermission hat Alexander Hug vom Frühjahr 2014 bis zum Herbst 2018 diese Arbeit koordiniert und den Verlauf des Krieges beobachtet.

ZEIT ONLINE: Herr Hug, was hat Sie in den viereinhalb Jahren, in denen Sie direkt an der Frontlinie des Krieges gearbeitet haben, am meisten geprägt?

Alexander Hug: Das Leiden der Zivilbevölkerung, das von Anfang an offensichtlich war und immer noch nicht aufgehört hat: Die nicht beteiligten Zivilisten sind ja auf beiden Seiten der Kontaktlinie täglich den Gefahren ausgesetzt. Gleichzeitig hat mich die Widerstandsfähigkeit genau dieser Bevölkerung stark beeindruckt. Die Leute geben nicht auf. Sie glauben nicht an den Sinn dieses Krieges. Oft haben sie uns gesagt, dass es nicht ihr Krieg sei, der da gekämpft wird. Es ist schon sehr eindrücklich, wenn jemand einem das nach viereinhalb Jahren fast ununterbrochener Gewalt sagt.

ZEIT ONLINE: Als wir uns im Jahr 2014 in der Region um Mariupol getroffen haben, hatten Sie Ihre Position in der Ukraine gerade angetreten. Haben Sie es damals für möglich gehalten, dass der Krieg bis heute anhalten wird?

Hug: Nein, zumindest Anfang 2014 war mir das noch nicht klar.

ZEIT ONLINE: Was dachten Sie, als sie jüngst von der neuen Eskalation im Schwarzen Meer erfahren haben?

Hug: Diese Ereignisse heizen den Konflikt an. Ich hoffe, dass alles darangesetzt wird – auch durch die Hilfe von internationalen Organisationen –, die Situation zu beruhigen. Das Völkerrecht muss durchgesetzt und die Eskalationsspirale gestoppt werden. Gleichzeitig berichten meine ehemaligen Kollegen von der Spezialbeobachtermission ja immer noch von Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie im Südosten der Ukraine. Dort gehen die Kampfhandlungen leider unvermindert weiter.

Die Situation in der Ukraine

von Russland kontrollierte Gebiete

ZEIT ONLINE: Kam die neue Eskalation im Asowschen Meer überraschend?

Hug: Die Spannungen rund um die annektierte Halbinsel Krim haben sich lange abgezeichnet. Die ukrainische Seite hat sich schon seit Monaten darüber beschwert, dass sich ihre Schiffe nur noch eingeschränkt auf dem Meer bewegen können.

ZEIT ONLINE: Die Ukraine hat nun das Kriegsrecht verhängt – mehr als vier Jahre nach Ausbruch des Krieges, erst nachdem 12.000 Menschen gestorben waren. Das ist doch paradox?

Hug: Die ukrainische Regierung muss selbst wissen, welche Maßnahmen sie wann einleitet.

ZEIT ONLINE: Sie haben mehr als vier Jahre direkt an der Frontlinie die Einschläge von BUK-Raketen gesehen, die auf Wohngebiete abgefeuert wurden, tote Soldaten und Zivilisten gezählt. Ist es nicht befremdlich, wenn all das offiziell nicht als Krieg bezeichnet wird?

Hug: Und es dauert noch an. Die Spezialbeobachtermission stellt nach wie vor Waffenstillstandsverletzungen fest. Aber ob man das als Krieg bezeichnet, ist eine Frage der Definition, die Regierungen und Gerichte für sich treffen müssen. Die OSZE bezeichnet die Kampfhandlungen offiziell als Konflikt in und um die Ukraine. Das beinhaltet den bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine.

ZEIT ONLINE: Auch viele Medien in Mittel- und Westeuropa nennen den Krieg nicht Krieg, sondern Konflikt. Warum tun sich viele so schwer mit der Beschreibung?

Hug: Natürlich ist es hart für die mehr als 100.000 Menschen, die der Konflikt direkt betrifft. Diese Kategorisierung hat aber auch eine rechtliche Komponente. Wichtiger als die Frage nach der Wortwahl ist die Umsetzung von bestehenden Abkommen, um die Kampfhandlungen zu beenden.

ZEIT ONLINE: Was haben Sie in den vergangenen Jahren zu Ihrer Familie gesagt, wenn Sie aus der Ukraine nach Hause gekommen sind?

Hug: Zu meinen Kindern habe ich gesagt, ich war auf der Arbeit.

ZEIT ONLINE: Und dann fragten sie nicht, was Ihre Arbeit ist?

Hug: Die Wortwahl ist wichtig und ich habe auch eigene subjektive Eindrücke und Meinungen zu diesen Gewalttaten.

Hug pausiert kurz, bevor er weiterredet.

ZEIT ONLINE: Aber?

Hug: Man muss versuchen, die Gewalt nicht zu unterstützen. Auch in meiner privaten Funktion will ich alles dafür tun, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen.

ZEIT ONLINE: Im Normandie-Format verhandeln Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine seit mehr als vier Jahren vergebens über ein Ende des Krieges. Der eigentliche Friedensplan, das Minsker Abkommen, wird nicht eingehalten. Wie könnte die OSZE dennoch weiterhelfen?

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