/CDU-Vorsitz: “Das dürfte noch zu Spannungen führen”

CDU-Vorsitz: “Das dürfte noch zu Spannungen führen”

So was hat es in der CDU noch nie gegeben: ein Dreikampf um das höchste Parteiamt. Wie eine “Rockband” tourten Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn einen Monat lang durch die Republik, sagte Spahn hinterher selbst. Aber: Hat der Streit die Partei gespalten? Und was bleibt von diesem Basisprozess? Fragen an den Politikwissenschaftler Michael Koß von der Ludwig-Maximilians-Universität München

ZEIT ONLINE: Herr Koß, drei Kandidaten haben über einen Monat lang um den CDU-Vorsitz geworben. Warum hat dieser Wahlkampf von so unterschiedlichen Charakteren die Partei nicht zerrissen?

Michael Koß: Ich denke, dass die Antwort auf die Frage, inwiefern die CDU zerrissen ist, noch aussteht. Insbesondere im Südwesten hat man sich in einem Maße auf Friedrich Merz festgelegt, das jetzt zumindest zu Spannungen führen dürfte.

ZEIT ONLINE: Warum waren die Regionalkonferenzen wichtig für die CDU? Schließlich entschied am Schluss ganz klassisch ein Parteitag und nicht die Parteibasis.

Koß: Nun, wenn Delegierte entscheiden und das Ganze dennoch demokratischer ablaufen soll als bisher, ging es nicht ohne vorgeschaltete Kandidatenschau. Genau das haben die Regionalkonferenzen ermöglicht und damit die innerparteiliche Debatte kanalisiert.

ZEIT ONLINE: Welche Folgen hat dieser Wahlprozess für die CDU – und für Volksparteien insgesamt? Werden sie offener, transparenter und diskursiver?

Koß: Die Frage scheint mir eher, ob es noch Volksparteien gibt. Zumindest bei der SPD kann davon eigentlich keine Rede mehr sein. Die CDU hat es aber geschickter angestellt, denn statt eines pseudodemokratischen Plebiszits hat man hier mit Regionalkonferenzen und Wahl durch Delegierte den Weg der repräsentativen innerparteilichen Demokratie gewählt. Das hat viel stärker eine interne Debatte ermöglicht. Allerdings mit der Gefahr der Lagerbildung.

ZEIT ONLINE: War es ein Fehler der SPD, nach dem Rücktritt von Sigmar Gabriel, spätestens aber nach dem seines Nachfolgers Martin Schulz, nicht auch auf ein solches Format zu setzen?

Koß: Jein. Nach Schulz’ Rücktritt musste es schnell gehen. Als die Not groß war, musste Andrea Nahles wieder unter Ausschluss der Parteiöffentlichkeit gekürt werden. Bei der SPD gibt es offensichtlich kein Interesse an einer geordneten innerparteilichen Debatte.

ZEIT ONLINE: Hat Angela Merkel die Partei wirklich überhört, wie ihr oft vorgeworfen wurde – oder zwingt sie nicht das Amt, ein Stück weit autonom von der eigenen Basis zu handeln?

Koß: Es ist nicht ohne Ironie, dass der vermeintlichen Technokratin der Macht, die nur auf Mehrheiten schiele, nun vorgeworfen wird, ebenjene Mehrheiten in ihrer eigenen Partei ignoriert zu haben. Merkels am meisten polarisierende Entscheidung, im Sommer 2015 die Grenzen offen zu halten, war sicher nicht technokratisch. Hier stand jemand und wollte nicht anders. Das hatte nichts mit den Zwängen ihres Amtes, sondern mit eigenen Präferenzen zu tun. Und für die ist sie abgestraft worden.

ZEIT ONLINE: Die großen Modernisierungsschübe der letzten Jahre, angefangen bei der Agenda 2010, hätten es wohl nicht gegeben, wenn die Kanzler und Parteichefs erst mal alles mit der Basis zerredet hätten. Wie weit kann ein Spitzenpolitiker Rückkopplung mit der Basis überhaupt leisten?

Koß: Wenn die Basis keine einheitliche Meinung hat, wird es unabhängig von der Entscheidung der Spitzenpolitiker schwer. Die Agenda 2010 hat die SPD nachhaltig gespalten, und die Offenhaltung der Grenzen 2015 könnte dasselbe für die CDU bedeuten. Aber ob diese Spaltungen Ausdruck mangelnder innerparteilicher Debatten sind oder vielmehr dafür stehen, dass die alten Themen der beiden (ehemaligen) Volksparteien selbst ihre Halbwertszeit überschritten haben, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu entscheiden.

Wäre eine SPD, die den vermeintlichen Reformstau verlängert hätte, wiedergewählt worden? Wären ihre Mitglieder zufriedener? Hätte eine CDU, die das Prinzip der Freizügigkeit innerhalb der EU aufgekündigt hätte, alle ihre Mitglieder zufriedengestellt? Oder teilen die Antworten auf die Frage, was genau soziale Gerechtigkeit ist und wie innere Sicherheit zu gewährleisten sei, nicht vielmehr sowohl SPD als auch CDU in zwei ähnlich große Hälften? Wenn das so ist, dann ist die “Rückkopplung mit der Basis” für beide Parteien letztlich eine Chimäre.

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