/Wandel der CDU: Angela Merkels linksliberales Erbe

Wandel der CDU: Angela Merkels linksliberales Erbe

Rechts steht die neue Mitte. So lautet in diesen späten Merkel-Wochen eine gängige Interpretation in der CDU. Wolfgang Schäuble, der weithin akzeptierte Parteiweise, hat sich ihrer jüngst bedient, als er sich für Friedrich Merz aussprach: Er traue Merz am ehesten zu, den rechten “Rand” zu schwächen und die AfD-Wähler “zur Mitte hin” zurückzuholen.

Auch Merz will sich daran messen lassen. Die AfD halbieren, das ist sein erklärtes Ziel. Dass diese politische Formation überhaupt entstanden ist, bewerten viele konservative Unionspolitiker als historischen Fehler, den man Angela Merkel zu verdanken habe: Weil sie klassisch konservative Positionen geräumt habe, sei rechts der Union ein Platz im Parteienspektrum entstanden. Gut, so hoffen die Merz-Fans, dass dieser Spuk bald vorbei sein könnte. Sollte sich Merz am Freitag durchsetzen, würde sich das christdemokratische Wertegerüst schon wieder ordentlich zurechtjustieren – und somit wieder attraktiv für all die Enttäuschten am Rand werden.

Aber ob diese Rechnung aufgeht? Es gibt Trends, die daran zweifeln lassen.

Zunächst sind da Merkels Beliebtheitswerte, die der These von ihrer mangelnden Integrationsfähigkeit widersprechen. Mit keinem Kanzler waren die Deutschen seit 1990 mehrheitlich so zufrieden wie mit ihr. Seit Merkel Kanzlerin ist, zählte sie stets zu den beliebtesten und als am kompetentesten eingeschätzten Politikern der Republik. Dauerhaft konnte ihr demoskopisch in diesen anderthalb Jahrzehnten niemand das Wasser reichen. Ihre internationalen Regierungschef-Kollegen Donald Trump, Emmanuel Macron oder Theresa May wären dankbar für solche Werte, von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder oder den diversen SPD-Chefs ganz zu schweigen. Auch die CDU wird vermutlich länger warten müssen, bis sie wieder eine so anhaltend akzeptierte Führungsfigur hat.

Neue Wähler braucht die CDU

Merkel verfügte also bis weit in die Mitte hinein über eine überaus integrative Wirkung. Dass sie dabei die Ränder vernachlässigte, war eine bewusste Entscheidung. Sie folgte dabei nicht nur ihren persönlichen Präferenzen, sondern einer nüchternen sozialwissenschaftlichen Analyse. Die da lautete: Die CDU muss sich neue Wählerschichten erschließen.

Ein Befund, der sich schwer leugnen lässt: Bereits als Merkel die Partei im Jahr 2000 übernahm, war diese heillos überaltert. Jede Legislaturperiode sterben mehr Unionswähler als die Partei neue Erstwähler dazugewinnt. Hinzu kommt der gesellschaftliche Wandel: Der landwirtschaftliche Sektor, der die treusten Anhänger hervorbrachte, schrumpft seit Jahrzehnten. Die Kirchenbindung nimmt insgesamt ab, und selbst wer heute noch in die Kirche geht, wählt nicht mehr automatisch CDU oder CSU. Stattdessen gab und gibt es immer mehr Dienstleister, Großstädter, Atheisten. Die aber konnten mit der Union noch nie viel anfangen. 

Altmaier warnte schon 2009

In ganz Europa ist dieser Prozess zu beobachten: Konservative oder christdemokratische Parteien verloren gegen Ende des 20. Jahrhunderts ihre sozialstrukturellen Erfolgsvoraussetzungen. Und damit häufig auch die Macht. Beschleunigt wurde dieser Bedeutungsverlust vom Ende des Kalten Kriegs. Den antisozialistischen Parteien fehlte plötzlich der identitätsstiftende Gegner. Und so schrumpften in Süd-, Nord- und Westeuropa die Schwesternparteien der CDU binnen weniger Jahre vor sich hin.

Auf all diese Trends wiesen auch die Wahlforscher hin, die Merkel regelmäßig zu ihren Strategietreffen einlud. “Das konservative Milieu verschwindet”, warnte die Forschungsgruppe Wahlen schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wenn sich die CDU nicht schleunigst öffne und liberalisiere, drohe ihr ebenfalls der Verfall. Das sah auch Merkels Mannschaft so. Peter Altmaier, einer ihrer Vertrauten vom ersten Tag an, sagte 2009: Er habe “das Diktum, wonach es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe”, immer für “problematisch” gehalten. So würde man sich in “Abhängigkeit von rechten Stimmungen” begeben. Xenophobe Antieuropäer seien ohnehin kaum zu erreichen. Der Blick ins Ausland zeige: Volksparteien bringe es wenig, wenn sie den Populisten programmatisch nachliefen.

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