/“Under the Silver Lake”: Verschwörungstheorien in Pastell

“Under the Silver Lake”: Verschwörungstheorien in Pastell

Die Welt ist voller Rätsel und voller Zeichen, die der Entschlüsselung harren. Doch selbst wenn man alle Codes geknackt hat und alle Geheimnisse unter der Oberfläche der Welt endlich zu lüften vermochte, bringt einem das der Lösung dieser letzten Frage nicht näher: Was will die Frau?

So könnte man die Geschichte und weltanschauliche Generalhypothese des neuen Films von David Robert Mitchell zusammenfassen. Under the Silver Lake erzählt von den Erlebnissen eines ungepflegten berufslosen Jünglings (Andrew Garfield), der in einem äußerst angesagten Stadtteil von Los Angeles lebt – Silver Lake liegt zwischen Downtown und Hollywood – wobei leben in diesem Fall heißt, dass er pittoresk vor sich hingammelt und seine Tage mit Kiffen, Masturbieren und Computerspielen verbringt oder der reifen Nachbarsfrau mit dem Fernglas auf die unbekleideten Brüste glotzt. Trotz seiner offenkundigen erotischen und auch sonstigen Uninteressantheit wirkt der Jüngling aber nicht nur auf die reife Nachbarsfrau anziehend, die er schließlich zum Begleitgeschrei ihres Papageis vögelt. Auch auf gut aussehende gleichaltrige Frauen mit langen Beinen und kurzen Röcken übt er eine starke Faszination aus, woran man schon sieht, dass es sich bei diesem Film um eine Art surreale Fabel handelt.

Noch surrealer wird es, als der Jüngling mit einer besonders tollen Frau (Riley Keough) eine schöne Nacht verbringt – sie kiffen und spielen Computerspiele – und die Frau am nächsten Tag gern wiedersehen möchte. Das geht aber nicht, denn ihre Wohnung ist leergeräumt und die geheimnisvolle Schöne wie vom Erdboden verschluckt. Glücklicherweise findet sich in der leeren Wohnung ein rätselhaftes Zeichen, das die dem Jüngling innewohnende Neigung zum Enträtseln von Symbolen weckt; das Zeichen verweist auf andere Zeichen, die auf andere Zeichen verweisen. Bei der Entschlüsselungsarbeit flaniert der frisch gebackene Semiotiker und Detektiv nun kreuz und quer durch die Stadt. Er kommt an zahlreichen Sehenswürdigkeiten vorbei, wie zum Beispiel dem Forever-Hollywood-Friedhof, feiert auf exklusiven Partys und lernt viele gut aussehende junge Frauen mit langen Beinen und kurzen Röcken kennen, die ihn äußerst anziehend finden; und schließlich stößt er auf das Netzwerk einer geheimen Macht, die unsere Geschicke bestimmt, ohne dass wir es bemerken.

Dieses ganze Werk wäre der Rede nicht wert, hätte der Regisseur David Robert Mitchell nicht vor vier Jahren mit It Follows einen äußerst intelligenten, vielschichtigen und im Sinn des Wortes tatsächlich furchteinflößenden Teen-Horror-Film vorgelegt, nach dem man ihn für ein aufstrebendes Regietalent halten konnte. It Follows handelte von einem teuflischen Fluch, den man sich durch One-Night-Stands holt; die Verfluchten werden so lange von einem unsichtbaren Wesen verfolgt, bis sie den Fluch ihrerseits durch flüchtigen Sex weitergeben. Das adoleszente Erschaudern vor dem eigenen erblühenden Begehren, die Lust an anderen Körpern und die Angst vor dem Geschlechtsakt umkreiste Mitchell in einer schön mit Schockmomenten durchsetzten Story und einer entfesselten Bildsprache, die an den italienischen Giallo-Film der Siebzigerjahre erinnerte.

In Under the Silver Lake ist davon nur noch wenig zu spüren. Zwar variiert Mitchell einige Elemente des Vorgängerfilms wie das Verfolgungsmotiv oder die Tatsache, dass für alle Beteiligten ihre Sexualität irgendwie rätselhaft ist. Aber statt beunruhigender Sex-Horror-Bilder herrscht nunmehr ein pseudoschlauer Postmodernismus-für-Anfänger-Kitsch, wie er schon vor 20 Jahren in Paul-Auster-Romanen langweilte.

Das Erzähltempo ist zu niedrig und die Dramaturgie spannungsarm. Die pastellierten weichgezeichneten Bilder haben die Augen schon müde gemacht, bevor die rätselhafte Schöne überhaupt verschwindet – und dann dauert der Film noch einmal zwei Stunden. Die wenigen Schockmomente wirken wahllos hineingestreut; sie reißen den Betrachter gelegentlich aus seinem Dämmerzustand, aber zur Entwicklung oder auch nur sinnvollen Störung der Story dienen sie nicht.

Die männliche Hauptfigur ist psychologisch zu flach, um realistisch zu wirken, und in ihrer Funktion in der Geschichte zu simpel, um als Allegorie zu taugen. Die Frauen sind dazu da, gut auszusehen und rätselhaftes Zeug zu reden, was in seiner stoischen sexualpolitischen Gegenwartsfremdheit schon wieder drollig sein könnte, wenn das rätselhafte Zeug, das die schönen Frauen hier reden, nicht so uninteressant wäre.

Apropos Gegenwartsfremdheit: Man könnte natürlich auch fragen, wie sich die in diesem Film liebevoll ausgebreitete Ansicht, dass die Welt von geheimen Mächten gesteuert wird, zu der Tatsache verhält, dass solche Verschwörungstheorien in der Realität weniger dem Zeitvertreib harmloser hübscher junger Menschen dienen, sondern der Durchsetzung von Machtinteressen hässlicher alter Menschen, die alles andere als harmlos sind. Aber um solch eine Frage beantworten oder auch nur stellen zu können, müsste dies nicht nur ein besserer, sondern sogar ein politisch reflektierter Film sein; davon ist Under the Silver Lake weit entfernt.

“Under the Silver Lake” läuft ab 6. Dezember in den deutschen Kinos.

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