/Ständige Erreichbarkeit: Mit freundlichen Grüßen aus dem Krankenhaus

Ständige Erreichbarkeit: Mit freundlichen Grüßen aus dem Krankenhaus

Die Infusion läuft
langsam in meine Vene. Sehr, sehr langsam. Ich liege im Krankenhaus und der
Fernseher funktioniert nicht, also mache ich, was man eben so macht, wenn der
Körper in den Notstrombetrieb wechselt: starren, denken, starren, schlafen.
Aber auch: mein Smartphone anschalten, weglegen, wieder in die Hand nehmen,
Apps öffnen, noch mehr Apps, Kalender auf, Kalender zu, WhatsApp auf, E-Mails
abrufen.

Im Auftrag der ZEIT hat das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft quer durch alle Berufsgruppen 1.000 Menschen befragt, was sie sich von ihrem Arbeitsplatz wünschen. In der Serie “Mein Job und ich” auf ZEIT ONLINE zeigen wir die Ergebnisse und erzählen die Geschichten dahinter.
© Christoph Rauscher für ZEIT ONLINE

Ein Kollege fragt, was
mit der Kolumne sei, ich schreibe ihm, dass sie fertig auf dem Server liegt,
hier noch einmal der Linkpfad zur Sicherheit, copy, paste, abschicken, mit
freundlichen Grüßen aus dem Krankenhaus. Eine Kundin fragt, ob ich die Abgabe
eines Textes einhalten kann, ich will gerade “ja, klar” tippen, da klopft es an
der Tür, Mittagessen ist da. Beim Kauen tippe ich die Antwort zu Ende,
natürlich schaffe ich die Abgabe. 

Irgendwann schlafe ich
ein und wache wieder auf, das Telefon hat vibriert, der Tropf ist erst zur
Hälfte durch, ich rufe schnell zurück. Nachdem ich auflege, starre ich
abwechselnd auf die Infusionsflasche und auf mein Telefon und denke: Was zum
Teufel stimmt eigentlich nicht mit mir, dass ich selbst im Krankenhaus mein
Handy nicht aus der Hand legen kann?

Mein Telefon ist niemals
aus. Es gibt höchstens den Flugmodus. Als freie Autorin und
Social-Media-Beraterin ist mein Job genau das: immer online, immer alles
mitkriegen. 

Jung, prekär beschäftigt, stets erreichbar

Ich bin ein Extremfall.
Aber auch Menschen, deren Erfolg nicht davon abhängt, ob sie den neusten trending
topic
auf Twitter mitbekommen, sagen, dass sie nach Dienstschluss nicht von
der Arbeit abschalten können
. Drei von vier Berufstätigen in Deutschland beantworten nach Feierabend und am Wochenende Dienstmails und Anrufe, fand eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Dabei
würden viele vorziehen, in ihrer freien Zeit nicht erreichbar zu sein. Das
infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft hat im Auftrag der ZEIT
in einer
repräsentativen Befragung 1.000 Erwerbstätigen in Deutschland Fragen zu ihrer
Arbeit gestellt: Selbstständigen, Angestellten und Auszubildenden, älteren und
jungen, quer durch alle Berufsgruppen. Heraus kam: 60 Prozent der Befragten war
es wichtig, in ihrer Freizeit nicht mit Arbeitsfragen gestört zu werden.

Nur die Hälfte der
Befragten gab an, dass sie zufrieden damit sind, wie oft sie in ihrer Freizeit
mit Arbeitsangelegenheiten kontaktiert werden. Bei den Berufstätigen unter 35
waren es sogar 40 Prozent. Auch eine Studie des Branchenverbandes Bitcom zeigte: Den jüngeren Beschäftigten fällt es besonders
schwer, sich von der Arbeit abzugrenzen. Bei den unter 30-Jährigen fand es
jeder Zweite normal, auch nach der Arbeit erreichbar zu sein. Zum
Vergleich: In der Altersgruppe zwischen 30 bis 65 Jahren war es nur jeder
Vierte.

Jetzt werden viele
sagen: Kein Wunder, diese jungen Leute hängen ja auch ständig an ihren Handys
und wenn etwas nicht auf Instagram zu sehen ist, hat es nie stattgefunden. Ich
bin 33 Jahre alt und mein Smartphone ist tatsächlich die externe Verlängerung
meines Gehirns. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Denn um das
Smartphone pünktlich um 18 Uhr auszuschalten, braucht man nicht nur Disziplin –
sondern auch die Gewissheit, nächsten Monat die Miete zahlen zu können. Ständig
plagt mich die Angst, einen Auftrag zu verpassen, oder auf die Nachfrage einer
Kundin nicht schnell genug zu reagieren. Die Angst, dass hinter jedem, der
abends offline ist, schon einer steht, der um 23 Uhr noch Mails beantwortet.

Disziplin allein reicht nicht

Ich bin mir sicher: Dass vor allem junge Menschen schlecht abschalten können,
hat nicht nur mit mangelnder Selbstbeherrschung zu tun. Sondern auch damit,
dass sie häufiger prekär arbeiten oder fürchten müssen, dass ihr Vertrag nicht
verlängert wird: 60 Prozent aller befristet Beschäftigten in
Deutschland sind unter 35, fand eine Studie der Böckler-Stiftung heraus. Überhaupt: Jede zweite Neueinstellung ist
befristet
. Und wer um seinen Job bangt oder
sich wie ich von einem Auftrag zu anderen hangelt, schafft es kaum, entspannt
das Handy auszumachen.

In den Monaten, bevor
ich am Tropf gelandet bin, sah mein Alltag so aus: Wenn der Wecker morgens
klingelte, las ich schon die ersten Nachrichten des Tages. Ich beantwortete
Fragen, ich tippte auf kleine runde Symbole, ich chattete, ich kommunizierte,
reagierte, ich war kaum wach und schon so was von an. Ich war angespannt,
unruhig, schlaflos. Natürlich fragte ich mich, ob das alles gesund war, aber
wenn es mir nicht gut ging, installierte ich einfach zwei Fitness-Apps und lief
meine zehntausend Schritte am Tag, packte ein bisschen Filter auf die
Instagram-Fotos und schon sah mein Leben wieder so aus, als hätte ich alles
total im Griff. Bis mein Körper irgendwann die Schnauze voll hatte. Und ich aufwachte
und übersät war mit einem Ausschlag, der so schlimm wurde, dass ich ins
Krankenhaus musste.

Der Arzt kommt nach dem
Mittagessen. Er sagt: Dass Ihr Körper streikt, dass Sie ständig krank sind –
das ist auch der Stress. Ich lache: Was für Stress? Ich liege doch schon zwei
Tage hier herum und mache quasi nichts. Das Telefon vibriert. Ich drücke den
Anruf weg. Der Arzt grinst ein bisschen und schüttelt den Kopf.

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