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Survival-Games: Die größte Gefahr ist der Mensch

Im Fabrikgebäude hallen Schüsse wider. Kämpfe im
Erdgeschoss, manche Spielfiguren verschanzen sich hinter Kisten und Fässern.
Aus einem Radio schallt der Walkürenritt Richard Wagners. Derweil legt sich
die Spielerin im zweiten Stockwerk ins Bett. Ihre Gesundheitsanzeige lässt zu
wünschen übrig, Heil- oder Nahrungsmittel hat sie keine mehr dabei. Ein Schlaf
wird helfen. Doch gerade als sie sich hinlegt, wird sie entdeckt. Schüsse, dann
ist ihr virtuelles Leben beendet.

Es ist eine zufällige Szene aus dem gerade erschienenen Fallout 76, ein sogenanntes
Survival-Spiel, in dem es nur um eines geht: in einer feindlichen Welt
überleben. Stand die Fallout-Reihe
bisher für Rollenspiele mit offener Spielwelt, die die Gamer frei
erkunden konnten, gesellt sich der aktuelle Teil zu einem neuen Trend: Überlebensspielen. Das einzige Ziel dieser Welten ist es, am
Ende noch lebendig zu sein. Keine opulenten Erzählungen, keine verwinkelten
Geschichten. Was macht diese einfachen Spiele so beliebt? Wieso wollen viele Gamerinnen
und Gamer in Videospielen gerade einfach nur noch überleben?

Im Survival-Spiel mag zwar das Überleben als einziges
Ziel bestimmend sein. Doch dieses Überleben kann unglaublich elaboriert aussehen.
Die Ernährung im Blick haben, also Essen suchen, zubereiten, lagern. Für
Trinken sorgen. Die körperliche Verfassung beobachten. Gleichzeitig erkunden die
Spielerinnen und Spieler die Welten des jeweiligen Videogames, sammeln Rohstoffe,
aus denen sich Waffen zur Verteidigung, Behausungen und mehr bauen lassen. Denn
diese braucht es unbedingt – so unterschiedlich die Welten der Survival-Spiele
auch sein mögen, eins haben sie alle gemein: Es sind feindliche Umgebungen.

Konfrontation mit der Vergänglichkeit

In Fallout 76
erkunden die Spieler etwa eine Welt nach dem Atomkrieg. Mutierte Wesen,
verbrannte Ehemals-Menschen suchen nach der nächsten Person, die sie in die Verstrahlung
ziehen können. Wollen die Spieler dort etwas trinken, müssen sie nicht nur
Wasser finden, sondern dieses auch kochen und durch einen Filter säubern. Tun
sie das nicht, wird die Strahlung sie schwächen. 7 Days to Die wiederum bietet eine mit Zombies verseuchte Umgebung.
In Ark: Survival Evolved bevölkern
Dinosaurier die Welt, während in Conan
Exiles
die Barbaren herrschen.

Sabrina ist die Person, die am Anfang des Artikels zu
Wagners Walkürenritt im Bett erwischt wurde. Im realen Leben arbeitet die
27-Jährige im Einzelhandel. Sie mag Survival-Spiele, weil man sich in diesen
verlieren könne. Man müsse keine komplexen Aufgaben meistern, sei nicht den
vielen Irritationen, den unendlich vielen Stressquellen des Alltags ausgesetzt.
“Gerade weil es im Survival-Spiel um alles, ums Überleben geht, ist es so
angenehm unterkomplex”, sagt sie.

Die Survival-Spiele lassen dich machen, was du willst.

Jenny, 33, Gamerin

Weil es keine richtige Erzählung gibt, gibt es auch keine
richtigen Vorgaben. Die Gamerin Jenny, die nach eigenen Angaben schon mehr als
1.000 Stunden mit Survival-Games verbracht hat, schätzt genau das. “Die
Survival-Spiele lassen dich machen, was du willst”, sagt die 33-Jährige, die sonst bei der Caritas arbeitet und Mutter von drei Kindern ist. Es beginne mit
einer leeren Welt, in der man nichts habe, man werde mit der eigenen
Vergänglichkeit konfrontiert. Und diese sei dann allgegenwärtig. Immer wieder
stürze etwa eine Basis ein, an der man viele Stunden gebaut habe – weil sie
nicht gut konstruiert war. “Dann ist der Ärger natürlich erst mal groß”, sagt
Jenny. Oft lache man dann aber auch schnell darüber.

Am liebsten spielt sie 7 Days to Die, zusammen mit ihrem Partner Tom, meistens abends oder
am Wochenende. Dann sitzen sie zusammen im Wohnzimmer an zwei Laptops und
besprechen, wie sie überleben wollen. Ihre Aufgaben teilen sie sich auf: Während
Tom für den Hausbau zuständig sei, gehe sie auf Erkundungstouren.

Survival-Spiele sind zumeist in einer großen, offenen
Spielwelt angesiedelt. Das heißt, dass die Gamerin ihre Figur zu jeder Zeit in
jeden beliebigen Teil der Karte lenken kann. Diese Welten jedoch existieren nur
online. Egal ob auf Konsole oder PC, die Entwickler stellen sie auf Servern
bereit, Interessierte können sie durch einen Internetanschluss erreichen. Streifen
die Spieler dann durch diese offenen Welten, können sie auf zwei Arten von Gegnern treffen: vom Computer gesteuerten Wesen – oder aber anderen Spielerinnen. Wie
auch in unserer Welt sind die eigentliche Gefahr vor allem andere
Menschen. Denn die sind unberechenbar.

 “Meist greifen die
anderen Spieler an, sobald sie einen erblicken”, sagt der Mediengestalter Lukas.
Keine Kommunikation, kein gemeinsames Erkunden – nur die Frage, wer zuerst
trifft. Der 33-Jährige zockt am liebsten das Spiel DayZ, das 2013 erschien und ein Vorreiter der Survival-Spiele ist.
Er hat entdeckt, dass ihm die Survival-Spiele nur am Anfang Spaß machen, nur solange
man noch etwas aufbaut. Sei diese Phase abgeschlossen, wolle man nicht, dass
der eigene Charakter umkomme, so der Gamer. Selbst im Videospiel bleibt also
die Angst, etwas zu verlieren, in das man Zeit und Energie gesteckt hat.
Vielleicht bezeichnet Lukas aus diesem Grund Spielupdates als die “besten
Momente” in den Welten: Dann werde das Inventar der Spieler zurückgesetzt. “Das
ist dann diese magische halbe Stunde, in der alle freundlich zueinander sind”,
sagt Lukas. Denn in diesem kurzen Zeitraum sei jede Spielerin ohne Waffen –
schutzlos also.

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