/Mordfall Walter Lübcke: Entsichert

Mordfall Walter Lübcke: Entsichert

Ein politischer Mord, wie er mutmaßlich an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verübt wurde, ist für eine liberale Gesellschaft und einen demokratischen Staat der unauflösbare Skandal schlechthin. Eine solche Tat ist, obwohl wir dem politischen Mord in zunehmendem Maße begegnen – als Fantasie, Projektion und in seiner Realisierung – in dieser Kultur einfach nicht vorgesehen. Der politische Mord wird daher sublimiert. Die Ermordung ist ausschließlich politisch, das heißt “ermordet” wird nur die öffentliche Figur, nicht aber die körperliche und private Existenz.

Der vermutlich politische Mord an Walter Lübcke, der es als CDU-Politiker gewagt hatte, mitmenschliches Verhalten gegenüber Geflüchteten und Asylbewerbern anzumahnen, entspricht dabei vollkommen den Mustern des neueren faschistischen Terrorismus. Dessen Konzept wurde von amerikanischen Rechtsradikalen als sogenannte “leaderless resistance” entwickelt: Die Ausführenden dieses Terrorismus sollen kein reales Gesicht mehr bekommen, er wird als Terror ohne Bekennerschrift geführt. Im Gegensatz zum klassischen (auch “linken”) Terror scheint das Chaosstiftende und Destabilisierende der Tat wichtiger als deren ideologische Kennzeichnung in der Öffentlichkeit. Bereits die Morde, die der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) verübte, folgten diesem Konzept.

Dieser führerlose Terrorismus macht es der Verfolgung ausgesprochen schwer, die Vernetzungen der politischen Gewalttaten aufzuklären. Zugleich macht er es einer desinteressierten Öffentlichkeit leicht, die Taten einzelnen Psychopathen zuzuschreiben – sie zu entpolitisieren. Waren etwa die Untaten des NSU tatsächlich politische Morde, oder war hier das Politische nur Zusatzkick und Rückversicherung für eine Gruppe, die unter anderen Umständen eher nach Art der Charles-Manson-Clique gemordet hätte?

Keine rationale Gegenreaktion möglich

Über das Verhältnis des Mörderischen zum Politischen entscheidet dabei nicht nur der Täter und nicht nur die Wahl des Opfers, sondern auch der sekundäre Adressat, die Gesellschaft. Das meint nicht nur die blitzschnelle und mitunter falsche Zuschreibung (wie etwa in anderen Fällen der auch von Journalisten in Umlauf gebrachte und letztlich haltlose Verdacht, es gebe islamistische Hintergründe). Es meint vor allem eine Verhandlung, die aus der Tat eine Erzählung zu machen versucht. In einem Terrorismus, der ohne erkennbare Führung und ohne Bekennerschreiben auskommt, verschwimmt das Politische weiter. Es scheint, als habe das rechtsextreme Lager von Al-Kaida gelernt: Terrorismus als unlesbare oder autorenlose Botschaft. 

Diese Form des Terrors trifft ins Herz einer Gesellschaft oder einer politischen Kultur, weil es darauf so gut wie keine rationale Gegenreaktion gibt. Es geht dabei nicht darum, eine Gesellschaft anzugreifen, sondern vielmehr ihre vermuteten Selbstzerstörungsmechanismen in Gang zu setzen.

So lautet eine erste Antwort auf die Frage, warum die mehr oder weniger neuen Terrorbereiten von rechts – von den Hassmail-Schreibern im Netz, die Drohungen aussprechen, bis zu den physischen Mördern – tun, was sie tun: Weil sie es können.

Was aber genau ist ein politischer Mord? Ist es ein Mord, der einem Überschuss politischer Energie (vulgo: “Fanatismus”) folgt? Wäre es in der positiven – der demokratischen – Mythologie der Tyrannenmord, der die Freiheit bringen soll? Und in der negativen – der faschistischen – Mythologie der Mord an einem Repräsentanten von Subversion, Liberalität, Intellekt und Fremdheit, der eine gewünschte Ordnung (wieder-)herstellt? Oder handelt es sich doch um einen Mord, der seine Legitimation aus dem Politischen zieht, so wie er sie anderswo aus dem Sexuellen, dem Religiösen oder dem Moralischen zieht?

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