/Eva Nowotny: “Es endet stets bei Milch und Fisch”

Eva Nowotny: “Es endet stets bei Milch und Fisch”

DIE ZEIT:
Frau Nowotny, vor 25 Jahren haben zwei Drittel der Wähler für den Beitritt Österreichs zur
EU gestimmt. Bevor es so weit kommen konnte, musste aber erst bei den Signatarmächten des
Staatsvertrages sondiert werden, ob sie diesen Schritt billigen. Das war keine
Selbstverständlichkeit. Sie waren damals als außenpolitische Beraterin im Kabinett von
Bundeskanzler Franz Vranitzky tätig und bei den meisten Gesprächen anwesend. Woran erinnern
Sie sich?

Eva Nowotny:
Wir wollten die Frage der Signatarstaaten nicht überbewerten und es nicht so darstellen,
als hätten sie ein Einspruchsrecht besessen.

ZEIT:
Hätten sie den Beitritt verhindern können?

Nowotny:
Theoretisch ja. Dazu hätten sie noch einmal den Alliierten Rat einberufen müssen …

ZEIT:
… jenes Gremium, das Österreich in der Besatzungszeit de facto kontrollierte.

Nowotny:
Das wollten wir absolut verhindern. Es war mit den Engländern und den Amerikanern relativ
einfach. Wir haben ja damals mit den Amerikanern in der Waldheim-Zeit ganz andere Sorgen
gehabt. Für die Briten stellte sich kein Problem, weil die immer für alles eingetreten sind,
was die EU erweitert und die innere Kohäsion schwächt.

ZEIT:
Vorbehalte herrschten jedoch in Frankreich und der Sowjetunion.

Nowotny:
Im Schwierigkeitsgrad überwogen die Sowjets wesentlich. Da konnte man sich absolut nicht
darauf verlassen, dass nicht ein tönendes Njet aus Moskau kommt.

ZEIT:
Hatten die französischen Vorbehalte damit zu tun, dass man in Paris einen deutschsprachigen
Block fürchtete?

Nowotny:
Bei Präsident François Mitterrand war das sehr stark zu spüren. Einmal sagte er zu
Vranitzky: “Damit würden wir den nächsten deutschen Staat aufnehmen.” Und Vranitzky
entgegnete: “Keineswegs, ihr würdet den ersten österreichischen Staat aufnehmen.” Zugleich
waren die Franzosen immer sehr integrationsbewusst. Für sie galt das Motto: Erst vertiefen
und dann erst erweitern. Bei einem Beitritt neuer Mitglieder fürchteten sie eine
Verwässerung der Vertiefung.

ZEIT:
Stellte die österreichische Neutralität ein Hindernis dar?

Nowotny:
Sie spielte eine Rolle. Deshalb wurde auch der entsprechende Verfassungsartikel um den
Zusatz erweitert, dass die Neutralität nicht von Solidaraktionen innerhalb der EU betroffen
werde.

ZEIT:
Die Neutralität wurde also kreativ weiterentwickelt.

Nowotny:
Das war auch in den Jahren zuvor schon der Fall. Ein Kabarettist hat einmal gewitzelt: “Mit
der immerwährenden Neutralität ist es so, wie wenn man an der Straßenbahnhaltestelle stöhnt,
dass ewig kein D-Wagen auftauche.”

ZEIT:
Der Verfassungszusatz reichte als Geste?

Nowotny:
Es waren nicht nur die Franzosen, die hier Vorbehalte hegten. Ich kann mich an ein Gespräch
mit dem damaligen spanischen Premier Felipe González erinnern, in dem er Vranitzky sagte:
“Schau, jeder zahlt seinen Preis. Wir mussten der Nato beitreten, ihr müsst jetzt eben die
Neutralität aufgeben.”

ZEIT:
Was erwiderte Vranitzky seinem Parteifreund?

Nowotny:
Wir haben klargemacht, dass wir nicht als Verhinderer in die EU kommen werden.

ZEIT:
Die größte Hürde war aber die Sowjetunion.

Nowotny:
Das war ein längerer Gesprächsablauf. Eine große Rolle hat dabei die Person von Michail Gorbatschow gespielt. Er hatte einen anderen Blick auf Europa und auf internationale
Beziehungen. Die klassische Doktrin in der alten Sowjetunion lautete: Die Europäische Gemeinschaft sei nur eine wirtschaftliche Vorfeldorganisation der Nato, und neutrale Staaten
hätten dort nichts verloren. Gorbatschow hingegen vertrat eine ganz andere Sichtweise. Bei
ihm gab es immer ein offenes Ohr für österreichische Anliegen.

ZEIT:
Das direkte Gegenüber war jedoch Regierungschef Nikolai Ryschkow, ein eher traditioneller
sowjetischer Politikertypus.

Nowotny:
Ja, der war sogar einmal in Wien, und wir sahen ihn einige Male in Moskau. Der war auch
sehr nett, und ich muss gestehen, wir haben ihn so langsam eingekocht.

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