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Mohammed Mursi: Repressionen bis nach dem Tod

In Ägyptens Medien herrscht dieser Tage das große Schweigen.
Einzig versteckt auf den hinteren Zeitungsseiten erschien Anfang der Woche eine
kleine Randnotiz, die den Tod von Mohammed Mursi meldete – ohne den Verstorbenen
als ehemaligen Präsidenten des Landes zu bezeichnen. Nur das private Blatt Al-Masry Al-Youm berichtete auf seiner Titelseite. Dagegen gab es in einer der Fernsehstationen
eine vielsagende Panne: Eine junge Nachrichtensprecherin las den 42 Worte
langen Mursi-Einheitstext vom Teleprompter ab, zusammen mit dem versehentlich mitkopierten
Hinweis “Von einem Samsung-Gerät gesendet”.

Wenn das Regime Idioten auswähle,
um Geheimdienstaufträge auszuführen, werde das Ergebnis tragikomisch, kommentierte
ein Aktivist auf Twitter den Vorfall. Durch das Missgeschick war mit einem Schlag offenkundig: Sämtliche Redaktionen hatten den gleichen Wortlaut vorgeschrieben
bekommen, verschickt von einem Smartphone aus der Zentrale der Staatssicherheit. Es ist
eine übliche Praxis Ägypten, wo jeder Andersdenkende kriminalisiert werden kann und willkürliche
Verhaftungen und spurloses Verschwinden zum Alltag gehören, genauso wie Folter
und systematische Grausamkeiten in den Haftanstalten.

Unter den 60.000 politischen Gefangenen des Sissi-Regimes war
Mohammed Mursi der prominenteste. Der gelernte Ingenieur war immerhin das einzige
frei gewählte Staatsoberhaupt in der 5.000 Jahre alten Geschichte Ägyptens und
der einzige Zivilist auf dem Präsidentensessel seit dem Ende der Monarchie 1953.
Einmal, im März 2018, bekamen drei britische Parlamentarier Zugang zu Mursi.
Die Haftbedingungen des Ex-Präsidenten grenzten an Folter, und die Verweigerung
einer medizinischen Grundversorgung könnte zu seinem vorzeitigen Tod führen, lautete
damals das Fazit der Besucher. “Leider wurden wir jetzt in unserem Urteil bestätigt”,
erklärte der konservative Abgeordnete Crispin Blunt, der die damalige
Delegation leitete. Auf diese Weise kommen immer mehr Details über die Quälereien an die
Öffentlichkeit, denen das ehemalige Staatsoberhaupt während seiner sechs Jahre
hinter Gittern ausgesetzt war.

Insulin nur auf eigene Kosten

Ganz anders wurde Mursis Vorgänger Hosni Mubarak behandelt: Er verbrachte
die meiste Zeit in einer Luxussuite im obersten Stock des zentralen Militärkrankenhauses
von Kairo mit Blick auf den Nil. Inzwischen lebt der 91-Jährige als freier Mann
zu Hause in seiner Villa. Über das Leben hinter Gittern der 2011 ebenfalls verhafteten
Mubarak-Söhne und Kabinettsmitglieder existiert eine ganze Serie von Ölbildern,
die der damals miteingesperrte Kulturstaatssekretär und Maler, Mohsen Shaalan,
später im Gezira Art Centre im Kairoer Edelvorort Zamalek ausstellen und
verkaufen durfte. Der Künstler wusste zu berichten, dass alle Insassen der vom Arabischen Frühling gestürzten Mubarak-Elite früh um 7 Uhr aus ihren Zellen konnten,
stundenlang schwatzend und Domino spielend im Gemeinschaftsraum zusammensaßen,
wo sie dann gemeinsam auf den Höhepunkt des Tages warteten, das Festbuffet eines
Fünf-Sterne-Hotels, was reihum auf Kosten eines anderen pünktlich um 13 Uhr angeliefert
wurde. Um 17 Uhr mussten alle zurück in ihre Zellen, jede ausgestattet mit Kühlschrank,
Fernseher und Radio. Besuche von Angehörigen gab es alle zwei Wochen.

Der im Juli 2012 gestürzte
Nachfolger Mohammed Mursi wurde hingegen in den sechs Jahren bis zu
seinem Tod am 1. Juni 2019 total isoliert. Lediglich dreimal durften ihn seine Angehörigen
besuchen. Der letzte dokumentierte Besuch fand im September 2018 statt, dabei hielten sich drei Sicherheitsbeamte ständig
mit im Raum auf und notierten jedes Wort, das in der Familie gewechselt
wurde. Gerichtliche Anordnungen, mehr Besuche zu gestatten, wurden von
der örtlichen Staatssicherheit ignoriert. Gegenüber seiner Frau und
seinen Söhnen klagte der 67-jährige Mursi, dass er kein Bett in der Zelle habe
und ihm vom Schlafen auf dem Boden der Rücken und der Nacken
schmerzten. Zudem litt er an Bluthochdruck und Diabetes. Ein
spezielles Diätessen bekam er nicht, stattdessen nur den üblichen “ekelerregende
Fraß”. Das Insulin musste er auf eigene Kosten kaufen.

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