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Iran: Präsident mit unerwartet kühlem Kopf

In Ilan Goldenbergs Twitter-Timeline wurde der Krieg am Donnerstag zumindest virtuell schon Realität. Der Außenpolitikexperte und ehemalige Berater im Verteidigungsministerium hatte ein Szenario erdacht, wonach ein US-Angriff auf den Iran als Rache für den Abschuss einer Drohne eine Kaskade an Eskalationen in Gang setze. Diese würde schlussendlich “zu einem ernsthaften Konflikt” führen.

Nur: Der Angriff blieb aus. Am Donnerstagabend ließ Trump einen bereits abgesegneten Luftangriff, über den er den Iran bereits hatte informieren lassen, kurzerhand wieder absagen.

Was lässt sich aus Trumps seltsamem Vorgehen schließen? Zunächst einmal scheint der Präsident in Sachen Außenpolitik doch nicht so unberechenbar zu sein, wie US-Medien und Politikexperten seit Monaten meinen. Der Fast-Angriff am Donnerstagabend könnte nämlich wesentlich durchdachter gewesen sein, als er von außen wirkt. Mit seinem Vorgehen hat Trump dem Iran signalisiert, dass er durchaus zu militärischen Maßnahmen bereit ist und gleichzeitig eine Eskalation des Konflikts verhindert. Strategisch wäre dieses Vorgehen sinnvoll.

Nuancierter als George W. Bush

Am Freitag twitterte der Präsident, ein Angriff mit 150 Toten wäre nicht “proportional” zum Verlust einer Drohne. Diese Abwägung wirkt für den als impulsiv geltenden Präsidenten erstaunlich bedacht. Vielleicht wollte Trump tatsächlich unnötige Tote im Iran verhindern. Den Anflug von Humanismus mögen Trumps Gegnerinnen und Gegner ihm zwar nicht abnehmen, allerdings hat Trump im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger George W. Bush noch keine völkerrechtswidrigen Kriege im Nahen Osten begonnen, die Hunderttausende Tote gefordert haben. Gegenüber dem rücksichtslosen “Krieg gegen den Terror” der Nullerjahre wirkt das aktuelle Vorgehen des US-Präsidenten jedenfalls geradezu nuanciert.

Außerdem zeigen die Ereignisse der Woche, dass der Einfluss der sogenannten Falken im Weißen Haus, die Trump zu einem militärischen Vorgehen gegen den Iran drängen wollen, möglicherweise doch nicht so groß ist wie bislang angenommen. Der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, Mitarchitekt der Irakinvasion 2003 und Befürworter eines Kriegs mit dem Iran, hatte Trump laut einem Bericht der Washington Post zu dem Angriff ermutigt. Der Präsident entschied sich dennoch dagegen. Überhaupt ist unklar, wie mächtig die radikalen Iran-Gegner in Trumps Umfeld sind, zu denen auch Außenminister Mike Pompeo und der republikanische Senator Lindsey Graham aus South Carolina gehören.

Unklar ist auch, wie groß Trumps politisches Interesse am Iran-Konflikt wirklich ist. Seine Ablehnung des Atomabkommens hat er nie ausführlich begründet, stattdessen immer wieder von einem “Desaster” gesprochen und in diesem Zusammenhang seinen Amtsvorgänger Obama kritisiert. Das legt die Vermutung nahe, dass Trumps Abkehr vom Iran-Deal vor knapp einem Jahr eher innenpolitisch motiviert war. Ein Eskalationsdruck käme also nicht notwendigerweise aus dem Oval Office.

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