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Elterninitiative: Andere haben ein Hobby, wir haben eine Kita

“Das Engagement der Eltern ist bei uns ganz wichtig!” Die Erzieherin schaut uns prüfend an. Wir sind beim Bewerbungstermin in der Kita. Und es ist jetzt nicht so, dass wir, beide nahezu voll berufstätig, zu viele Großeltern in der Nähe und überschüssige Freizeit hätten. Aber hey, es geht um einen Kitaplatz. Also: Na klar, gerne! Sachen reparieren, Kabel verlegen, Anträge schreiben, Besorgungen machen, Suppe kochen – alles kein Problem. Im Keller steht auch noch eine Nähmaschine, falls ihr die mal braucht.

Den Kitaplatz haben wir bekommen. Und das Hausmeisteramt gleich mit dazu. Denn im selbstverwalteten Kindergarten sind die Eltern für alles verantwortlich. Das klingt beängstigend, aber wir fanden den Gedanken auch schön. Mitbestimmen, wie es da abläuft, wo das Kind seine Tage verbringt. Und damit ja auch einen Großteil seiner frühen Kindheit.

An die wöchentlichen Stunden unter dem Kinderwaschbecken (Wasserhahn tropft), im Biomarkt (der Einkaufsdienst ist krank) und an der Nähmaschine (neue Kissenbezüge) haben wir uns gewöhnt. Manches nervt, anderes macht sogar Spaß. Lief alles irgendwie ganz gut. Bis zur großen Krise. Denn sobald echte Probleme auftauchen, zeigt sich, was Selbstverwaltung wirklich bedeutet. In unserer Kita passierte das im vergangenen Sommer.   

Dienstagabend, der Vorstand hat zum Elterntreffen geladen. Ein gutes Dutzend Mütter und Väter hockt auf Holzbrettern am Rand des selbst gezimmerten Sandkastens im Hinterhof eines Berliner Altbaus. Krisensitzung, mal wieder. Innerhalb von wenigen Monaten haben alle vier Erzieherinnen gekündigt oder sind schwanger geworden. Jede persönliche Situation ist nachvollziehbar. Aber für uns Eltern ist jede Kündigung ein Schubs Richtung Klippe. Da es in Deutschland akut an Erziehern und Erzieherinnen mangelt, ist es schon eine Herausforderung eine einzige Stelle nachzubesetzen. Ein komplett neues Team finden? Das ist nur noch irre.

Als Elternverein sind wir der Kitaträger. Wir sind der Arbeitgeber unserer Erzieherinnen und der Mieter der Räume. Wir müssen die Finanzierung sicherstellen, garantieren, dass alle Auflagen der Behörden erfüllt sind, die DSGVO umgesetzt wird und auch: Personal suchen.

“Wenn wir nicht bald neue Erzieher finden, könnte es sein, dass unsere Kita schließt”, sagt an jenem Abend eine Mutter aus dem Vorstand. Sechzehn Kitakinder müssten dann vielleicht sehr bald sehr kurzfristig einen neuen Kitaplatz finden. Der Super-GAU der großstädtischen Kleinfamilie. Denn in Berlin bekommen inzwischen mehr als elf Prozent aller Eltern von ein- und zweijährigen Kindern überhaupt keinen Betreuungsplatz, in anderen Bundesländern ist es teilweise noch schlimmer.

Hinzu kommen all die Horrorgeschichten, die Eltern sich so erzählen. Von Kitas, in denen Kinder gezwungen werden, ihre Teller leer zu essen. In denen sie in dunklen Zimmern eingeschlossen werden und schlafen müssen, obwohl sie nicht müde sind. In denen sie stundenlang nicht gewickelt werden. In denen sie zum Einschlafen Handyvideos gucken.

Wir also los: Ausschreibungen auf allen möglichen Plattformen, Zettel ans schwarze Brett im Bioladen, Zettel in die Eisdiele. Und sag mal, hatte nicht der Joachim einen Bruder, der mal Erzieher werden wollte? Ein moderner Waldorfhintergrund wäre toll, aber wer will jetzt noch Ansprüche stellen? Eine gewisse Offenheit für reformpädagogische Ansätze, vielleicht? Egal. Wir einigen uns auf: Freundlich und offen für die Bedürfnisse der Kinder. Fragen beim Berliner Senat nach, wo man denn um Himmels Willen sonst noch Personal finden könnte. Gibt es eigentlich auch Erzieher-Quereinsteiger?

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