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Schuldenstreit: Das plant die EU

Im Boxen gibt es zwei Möglichkeiten, auf den Angriff eines Gegners zu
reagieren: ausweichen oder zurückschlagen. In der Auseinandersetzung mit den Italienern setzt
die Führung der EU auf die erste Variante. Die EU-Kommission hat zwar vor zwei Wochen
festgestellt, dass Italien mit seinen hohen Schulden gegen die europäischen Haushaltsregeln
verstößt, was eine milliardenschwere Geldbuße nach sich ziehen könnte. Aber die Finanzminister
der Euro-Länder bemühen sich nach Kräften um Deeskalation. Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) etwa sprach sich am Wochenende dafür aus, einen “Weg zu suchen, wie das miteinander
funktionieren kann”.

Der Grund für die milden Worte: Die finanzpolitischen Eskapaden der italienischen Regierung stürzen die EU in ein Dilemma. Einerseits kann sie den offenen Regelbruch nicht einfach so hinnehmen. Sonst – so die Sorge vieler Politiker in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten – könnte die Glaubwürdigkeit der europäischen Vorschriften und damit das europäische Projekt insgesamt Schaden nehmen.

Andererseits ist die Furcht groß, Salvini durch einen harten Gegenschlag in die Hände zu spielen. Das Argument: Der Anführer der Lega sucht den Streit, um von seinen eigenen Verfehlungen abzulenken. Wenn die Europäer also auf seine Provokationen nicht eingingen, laufe seine Strategie ins Leere. Scholz jedenfalls hat seinen Leuten Zurückhaltung verordnet: Er will vermeiden, dass durch offene Kritik am italienischen Haushaltskurs antideutsche Reflexe in Rom hervorgerufen werden, die Salvini stärken.

Dabei haben Scholz und seine Kollegen einen mächtigen Verbündeten. Es sind die Investoren auf den internationalen Finanzmärkten. Sie verfolgen die ganze Angelegenheit sehr genau. Je mehr neue Schulden Salvini auftürmt, desto größer die Gefahr für die Kreditgeber, dass sie ihr Geld nicht zurückbekommen. Deshalb muss die italienische Regierung bei der Kreditaufnahme schon heute höhere Zinsen zahlen als die Regierungen anderer Euro-Länder.

Salvini hat damit weniger Geld übrig für seine politischen Prioritäten wie zum Beispiel die geplanten Steuersenkungen. Im Extremfall bringen die Zinssteigerungen Italien an den Rand einer Staatspleite, und spätestens dann, so hoffen seine Gegenspieler in Europa, werden die moderaten Kräfte in Italien um Premierminister Giuseppe Conte und Staatspräsident Sergio Mattarella Salvini zur Vernunft bringen. Schließlich will die große Mehrheit der Italiener den Euro behalten.

Das also ist die Idee: Die Finanzmärkte sollen den Europäern aus ihrem Dilemma helfen. Wenn sie Salvini zu einem Kurswechsel zwingen, kann er die Schuld für den Bruch seiner teuren Wahlversprechen nicht auf den deutschen Finanzminister oder den Brüsseler Währungskommissar schieben. Die Strategie geht aber nur auf, wenn Salvini damit rechnen muss, dass die EU ihm im Ernstfall nicht zu Hilfe eilt, um eine möglicherweise drohende Staatspleite zu verhindern.

Die Mittel dazu sind im Prinzip vorhanden. Die Europäische Zentralbank könnte neue Stützungsmaßnahmen beschließen, der Rettungsfonds ESM ein Kreditprogramm auflegen. Er verfügt über eine Kriegskasse in Höhe von 380 Milliarden Euro. Damit ließe sich Italien rein rechnerisch etwa eineinhalb Jahre über Wasser halten. Voraussetzung dafür wäre, dass das Land Reformen umsetzt, aber es wäre nicht das erste Mal, das Regeln gedehnt werden, wenn Gefahr im Verzug ist.

Wie geht dieser Nervenkrieg aus? Die zuständigen Fachbeamten aus den Mitgliedsstaaten haben sich in der vergangenen Woche im Finanzausschuss der EU der Einschätzung der Kommission angeschlossen, wonach Italien gegen die Schuldenregeln verstößt. Jetzt werden erst einmal wieder viele Gespräche geführt, in dieser Woche sind die Staats- und Regierungschefs an der Reihe, die sich in Brüssel treffen. Eine mögliche Kompromisslinie: Italien spart zwar nicht so viel wie von der Kommission gefordert, verzichtet aber auch auf neue teure Ausgabenprogramme.

Wenn sich am Ende niemand bewegt, wird das Strafverfahren voraussichtlich Anfang Juli
offiziell von Brüssel aus eingeleitet werden. In der Bundesregierung hofft man, dass Salvini
dann endlich nachgibt.

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