/Jens Weidmann: Der Euro-Spagat

Jens Weidmann: Der Euro-Spagat

Ein Spagat ist im übertragenen Sinn der Versuch, zwei gegensätzliche Positionen zu überbrücken. Einen solchen Spagat hat Jens Weidmann jetzt versucht. Das umstrittene Anleiheprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) sei “rechtens”, sagte der Präsident der Bundesbank gestern ZEIT ONLINE. Dies habe der Europäische Gerichtshof festgestellt.

Die Positionen, die Weidmann überbrücken muss, sind die folgenden: Wer Präsident der Europäischen Zentralbank werden und Mario Draghi in dieser Position beerben will, der muss bereit sein, die Kriseninstrumente der Notenbank zu nutzen, wenn die nächste Krise kommt. So wird es zumindest in den meisten Mitgliedsländern der Währungsunion gesehen.

Das Anleiheprogramm ist das vielleicht wichtigste Kriseninstrument. Im Rahmen dieses Programms kann die Notenbank im Fall der Fälle die Staatsanleihen eines Mitgliedslands kaufen und damit einen übermäßigen Anstieg der Zinsen verhindern. Wer sich zu dem Programm nicht bekennt, der wird von den Staatschefs der Euroländer nicht für den Posten nominiert werden.

Andererseits hat Weidmann genau dieses Programms kritisiert, als es verabschiedet wurde – sogar vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn er es nun offen gutheißt, dann würde er damit eingestehen, dass seine Einschätzung damals vielleicht nicht ganz korrekt war. Das wäre vor allem in Deutschland ein Problem für seine Glaubwürdigkeit.

Fall für ihn erledigt

Weidmann hat mit seinen Aussagen versucht, diese beiden Standpunkte miteinander zu vereinen. Wie? Indem er einen dritten Akteur ins Spiel gebracht hat: den Europäischen Gerichtshof. Der Bundesbankpräsident sagt nicht, dass er auf einmal ein glühender Anhänger des Programms sei. Er sagt, dass die Entscheidung über die Legalität der Anleihekäufe die Gerichte zu treffen hätten – und da diese entschieden haben, sei der Fall gewissermaßen für ihn erledigt. Das Programm ist mit dem Mandat der Notenbank vereinbar, und damit kann es im Prinzip auch aktiviert werden.

Mit anderen Worten: Das Instrument behält seine Gültigkeit, ohne dass Weidmann eine rhetorische Kehrtwende hinlegen muss. Wird das reichen für den neuen Job an der Spitze der EZB?

Das lässt sich noch nicht sagen, es sind zu viele Unbekannte im Spiel. Deutschland wird maximal eine der Spitzenpositionen bekommen, die in Brüssel zu vergeben sind. Wenn Manfred Weber Kommissionspräsident wird oder die Grüne Ska Keller Parlamentspräsidentin, dann geht die EZB nicht auch noch an einen Deutschen.

Aber es sind einige Entwicklungen in Gang, die zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöht haben, dass es Weidmann wird. Weber findet wohl im Parlament keine Mehrheit, damit wäre er aus dem Spiel. Ob Keller sich durchsetzt, ist ebenfalls unklar. Wenn Deutschland keinen Spitzenposten abbekommt, dann würde das der Bundesregierung als Niederlage angelastet werden.

Auch innerhalb der großen Koalition in Berlin spricht einiges für Weidmann als EZB-Präsidenten. Er ist zwar kein Parteimitglied, wird aber als der CDU nahestehend wahrgenommen. Wenn er auf Mario Draghi folgt, käme die SPD wahrscheinlich bei der Besetzung der Nachfolge an der Spitze der Bundesbank zum Zug – für die Genossen eine der wenigen Chancen, mit Personalentscheidungen Politik zu machen. Als möglicher Kandidat gilt Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

In dieser Situation hat Weidmann mit seinen Äußerungen dafür gesorgt, dass er jetzt, wo die letzten Entscheidungen anstehen, im Gespräch bleibt. Angela Merkel wird seine Worte im Hinterkopf haben, wenn heute und morgen auf dem Gipfeltreffen der EU in Brüssel erste Personaldiskussionen geführt werden. In der Bundesregierung setzt man jedenfalls darauf, dass Weidmann, wenn er erst einmal selbst Chef ist und nicht mehr an der Seitenlinie steht, in einer Krisensituation ähnlich flexibel reagieren würde wie heute Draghi.

Hits: 50