/Fall Walter Lübcke: Angestachelt zur Gewalt

Fall Walter Lübcke: Angestachelt zur Gewalt

Es ist der 14. Oktober 2015, 20 Uhr. Im Bürgerhaus der hessischen Gemeinde Lohfelden beginnt eine Versammlung, Thema ist eine Erstaufnahmeunterkunft des Landes für Flüchtlinge im ehemaligen Hornbach-Gartenmarkt im Ort. Walter Lübcke berichtet als Vertreter der Landesregierung über die Pläne. Es ist eine der vielen Informationsveranstaltungen, wie sie zu dieser Zeit an vielen Orten in Deutschland stattfinden. Die Behörden versuchen, mit den Menschen zu reden, ihnen zu erklären, wer in die Notunterkünfte in ihrer Nachbarschaft einziehen wird, woher die künftigen Bewohner kommen, wie lange sie bleiben werden. Aufklärung, so die Hoffnung, werde die Emotionen dämpfen, die Ängste verringern.

Doch Rechte nutzen diese Veranstaltungen für das Gegenteil. Sie wollen Angst schüren, wollen aufwiegeln. Auch in Lohfelden. Lübcke wird an diesem Abend immer wieder unterbrochen und beschimpft. Bis er diesen einen Satz sagt, von dem sich Rechte im ganzen Land provoziert fühlen und den sie nutzen, um Stimmung gegen ihn und gegen die Pläne der Regierung zu machen.

Noch am selben Tag wird ein knapp einminütiges Video der Veranstaltung auf YouTube hochgeladen. Es ist bis heute online. Der Ausschnitt ist kurz, er zeigt vor allem Lübckes Äußerung, man müsse für Werte eintreten, wer das nicht wolle, könne das Land jederzeit verlassen, das sei die Freiheit eines jeden. “Buh, Pfui, Verschwinde!”, rufen Leute im Saal. In den Kommentaren unter dem Video werden viele eindeutiger. Sie zeugen von Hass. “Dreckiges Arschloch! Verpiss dich selber!”, ist noch einer der harmloseren.

“Volksverräter”

Am Tag darauf berichtet die extrem rechte und viel gelesene Website PI News über die Veranstaltung. Unter dem Artikel veröffentlicht PI News die Büroadresse Lübckes samt seiner Telefonnummer und seiner E-Mail-Adresse. Kommentiert ist das nicht, doch ganz offensichtlich ist das als Aufruf gemeint, diesem Menschen mal so richtig die Meinung zu sagen und zu schreiben. In einem zweiten Text wird das Video verbreitet mit dem Zusatz: “Sie sollten sich was schämen, Herr Lübcke!!! (Abgelegt unter Volksverräter)”

Andere rechte Medien greifen das am 16. Oktober auf, mit ähnlichem Tenor. Am 17. Oktober berichtet die Regionalzeitung Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, dass Lübckes Auftritt gezielt gestört und provoziert worden sei. Anhänger der Kagida – des Kasseler Ablegers der rassistischen Pegidabewegung – hätten sich im Saal verteilt und den Regierungspräsidenten wiederholt beleidigt. “Irgendwann platzte ihm der Kragen und er sagte seinen verhängnisvollen Satz”, schreibt die HNA. Er habe damit nur die Störer gemeint, so die Zeitung. Lübcke selbst sagt das auch, seine Aussage sei an jene gerichtet gewesen, die durch Zwischenrufe ihre Verachtung unseres Staates artikuliert oder diesen Schmähungen applaudiert hatten. Die rechte Empörungskampagne stoppt das nicht. PI bringt in den kommenden Tagen noch zwei weitere Texte über Lübcke und seine Äußerung.

Lübckes Sprecher sagte damals laut Süddeutscher Zeitung, in der Zeit nach der Veranstaltung habe der Regierungspräsident eine Welle von Hassmails und Drohungen bekommen, auch aus dem Milieu sogenannter Reichsbürger.

Montag, 19. Oktober 2015, Dresden. 20.000 Menschen sind dem Aufruf der rassistischen Pegidabewegung gefolgt und haben sich auf dem Theaterplatz versammelt. Pegida feiert einjähriges Bestehen, Hauptredner ist der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci. Seine Rede beginnt er mit einer Beschreibung der Bürgerversammlung in Lohfelden. Lübckes Satz kommentiert Pirinçci mit den Worten: “Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert.” Und weiter: “Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZ sind ja leider derzeit außer Betrieb.” Die Menschen auf dem Platz applaudieren.

Der Empörung folgt nun eine Gegenempörung, auch weil Pirinçcis seltsam formulierter Satz in den kommenden Tagen oft falsch interpretiert wird. Viele Medien berichten, er habe das KZ-Zitat in Bezug auf Ausländer gesagt oder gemeint, was nicht stimmt. Er meinte offensichtlich Lübcke und unterstellte, wer Deutsche auffordere, das Land zu verlassen, der könne sich auch vorstellen, sie in Konzentrationslager zu stecken.

Hits: 11