/Sexualität: “Es geht darum, den eigenen Körper zu zelebrieren”

Sexualität: “Es geht darum, den eigenen Körper zu zelebrieren”

Ängste, Tabus und nicht zuletzt Bilder aus Pornos verderben das Erlebnis im Bett. Good News: Sex kann man lernen. Ein Gespräch darüber, wie man Lust übt.

Seit Jahrtausenden praktiziert die Menschheit Sex. Eigentlich müsste sie also gelernt haben, wie das möglichst befriedigend funktioniert. Doch das Liebesleben vieler führt eher zu Frust. Mareen Scholl beschäftigt sich viel mit Lust und Befriedigung, denn sie ist Sexological Bodyworkerin. Und sie ist sich sicher: Jede Person kann lernen, guten Sex zu haben – wenn sie lernt, auf den eigenen Körper zu hören.

ZEIT Campus ONLINE: Frau Scholl, Sie bringen Menschen bei, wie sie guten Sex haben können. Um zu wissen, was man im Bett mag, muss man schon ein paar Sachen ausprobiert haben. Macht es da überhaupt Sinn, als junger Mensch mit dieser Körperarbeit anzufangen?

Mareen Scholl: Es geht bei dieser Arbeit genau darum, Sexualität vor allem als ganz individuellen Lern- und Forschungsraum zu begreifen. Wenn man Glück hatte und noch keine gravierend schlechten Erfahrungen gemacht hat, ist man oft mit Anfang 20 noch ganz unbedarft mit der Sexualität und will sie einfach entdecken, man hat Bock, mit dem Körper was zu machen und zu experimentieren. Es gibt viele erste Male und ich plädiere durchaus dafür, nach dem Trial-and-Error-Prinzip Erfahrungen zu sammeln und einfach auszuprobieren, worauf ich Lust habe. Es braucht nicht für alles eine Schule.

ZEIT Campus ONLINE: Also kann man einfach loslegen?

Scholl: An sich schon. Trotzdem können Menschen auch in diesem Alter schon Handwerkszeug lernen, mit dem sie sich in sexuellen oder intimen Begegnungen selbstbestimmt bewegen können. Sodass sie nicht in Dinge reinpoltern, wo sie hinterher “Ach scheiße” denken, und ein größeres Selbstbewusstsein haben, zu Dingen enthusiastisch Ja oder klar Nein zu sagen. Dazu kommt: Wenn man schon Schwierigkeiten oder Unsicherheiten mitbringt – und die entstehen oft schon in der Kindheit, wir alle haben die in unterschiedlicher Ausprägung – und diese über Jahrzehnte nicht ausspricht und sich in der Sexualität entsprechend zurückhält, dann wird diese Unsicherheit mit der Zeit immer tiefer. Die Scham wird immer größer. In jungen Jahren hat man also die Chance, an so was gut anzusetzen.

ZEIT Campus ONLINE: Woran merke ich denn, ob meine Sexualität gut ist oder nicht?

Scholl: Das hängt immer davon ab, wo man mit seiner Sexualität hinwill und ob er in diesem Sinne erfüllend ist. Sehr viele Menschen setzen sich irgendwann in ihrem Leben mal hin und überlegen sich, was ihre berufliche Vision ist. Ich höre es sehr selten, dass Menschen sich hinsetzen und sich fragen: Was ist eigentlich meine Vision als sexuelles Wesen? Also wo möchte ich mit meiner Sexualität hin, wie will ich mich damit fühlen, was ist mein Traum? Doch es lohnt sich, sich das mal zu überlegen. Und zwar nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper herausfinden. Denn der Körper weiß schon ganz genau, wo er gern hinwill.


ZEIT Campus /2019

Mehr zum Thema findet ihr auch in der neuen Ausgabe von ZEIT Campus. Sex scheint heute überall verfügbar zu sein. Warum läuft trotzdem immer weniger im Bett? Und ist das überhaupt ein Problem? Eine Recherche

ZEIT Campus ONLINE: Das klingt so einfach. Doch unsere Gesellschaft ist dominiert von sexuellen Bildern: In der Werbung sind oft leicht bekleidete Frauen in bestimmten Posen zu sehen und Pornos gibt es auch überall. Wie kann man da herausfinden, was ein eigenes Bedürfnis ist – und was ein durch diese Darstellungen geprägtes?

Scholl: Ich halte Pornos nicht grundsätzlich für schlecht. Aber zum einen gehen wir dabei in eine vom Körper getrennte Lust, bei der wir ganz in den äußeren Bildern aufgehen. Und zum anderen sind die meisten Bilder stark normiert und standardisiert, sei es in Pornos, sei es in Spielfilmen, sei es in der Werbung. Die Bilder sind dahingehend normiert, wie Körper auszusehen haben, wie Lust oder Ekstase auszusehen haben, wie Sex auszusehen hat. Da ist es mentale Arbeit, sich selber immer wieder bewusst zu machen: Das ist nicht die Realität. Das ist nicht die Vielfalt unserer Körper, das ist nicht, wie Vielfalt von Sexualität aussieht. Es ist hilfreich, die Sexualität aus dem heimlichen und dem kommerziellen Raum hinein in den sozialen Raum zu holen, sich mit anderen darüber zu unterhalten, wie denn deren Sexualität aussieht, wie sie Lust empfinden, wie es ihnen damit geht. Und auch: Was sind die Unsicherheiten und Ängste der anderen? Das setzt diesen anderen Bildern etwas entgegen. Da macht es das Internet auch wieder leichter: Es gibt viele andere Bilder, andere Narrative und viele Informationen und Inspirationen dort zu finden, die ein anderes Bild von Sexualität aufmachen. Für alle Geschlechter, Körperformen, Lebensjahre und sexuellen Orientierungen.

ZEIT Campus ONLINE: Wie geht es dann weiter?

Scholl: Dann geht es darum, den eigenen Körper zu zelebrieren. Wirklich zu schauen: Woran habe ich Spaß? Das ist nicht immer ganz leicht, aber zu versuchen, sich von einem Performancedruck, von Gefallen-Wollen und so weiter loszumachen und den eigenen Körper zu erforschen. Das geht natürlich einerseits in der Sexualität mit Partnerinnen, aber auch im Alltag für mich allein. Was mag ich an meinem Körper, was finde ich an meinem Körper toll? Wie kann ich meinem Körper etwas Gutes tun? Tanzen gehen, sich selbst befriedigen, in der Natur sein, was auch immer, all das gehört dazu. Wir nutzen dafür den Begriff Embodiment: In möglichst allen Momenten im Körper sein, ihn spüren, sich an ihm erfreuen.

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