/Dirk Boll: Eine Grenze, auch für die Kunst

Dirk Boll: Eine Grenze, auch für die Kunst

DIE ZEIT:
Herr Boll, welche Folgen wird der Brexit für den Standort London als großen
Kunsthandelsplatz haben?

Dirk Boll:
London könnte vom Brexit sogar profitieren. Im Unterschied zu Deutschland gibt es hier seit
Jahrzehnten einen starken Dachverband, der mit der Regierung im Gespräch ist. Und die weiß,
dass sie ihren Branchen helfen muss. Man überprüft vor allem die gesetzlichen Regelungen,
die man in der Vergangenheit aus Brüssel übernehmen musste, insbesondere die
Einfuhrumsatzsteuer auf Kunst und das Folgerecht, also den gesetzlichen Anspruch auf
Beteiligung des Künstlers am Weiterverkauf eines Werkes.

ZEIT:
Wie wird man künftig mit diesen EU-Regelungen umgehen, wenn man nicht mehr an sie gebunden
ist?

Boll:
Tatsächlich generiert die Einfuhrumsatzsteuer für den Staat nur wenig Einnahmen und
erscheint deswegen als verzichtbar. Beim Folgerecht fällt der Blick differenziert aus: Die
Idee hält man in Großbritannien durchaus für sinnvoll, stellt aber infrage, ob auch die
Erben eines Künstlers davon profitieren sollen. Diskutiert wird derzeit, das Folgerecht auf
die Lebenszeit des Künstlers zu begrenzen.

ZEIT:
Was wäre außerdem nötig, um den Standort London zu stärken?

Boll:
Es braucht Regelungen für die Zeit nach dem Austritt. Was ist beispielsweise mit der
Reisefreizügigkeit von Mitarbeitern? Oder mit deren Aufenthaltsrecht in Großbritannien? Und:
Unterliegen unverkaufte Stücke der Einfuhrumsatzsteuer, wenn sie nach dem Brexit zurück in
die EU geschickt werden? All das ist noch zu klären. Aber es sieht gut aus, sowohl in London
als auch in Brüssel neigt man zu einer gewissen Freizügigkeit.

ZEIT:
Sollte es nach dem Brexit einen Einfuhrzoll für Kunstwerke geben: Was hieße das für
Einlieferungen bei Auktionshäusern wie Christie’s aus EU-Ländern?

Boll:
Sie würden denselben Regelungen unterliegen wie Einlieferungen aus der Schweiz oder
anderen bisherigen Drittländern. Wir haben in dieser Hinsicht gute und lange Erfahrungen mit
dem System der
preferred shippers.
Transportunternehmen, die als solche registriert
sind, können die Abwicklung der Zollformalitäten künftig einfach, schnell und digital
erledigen.

ZEIT:
Werden europäische Sammler zukünftig eher bei sich zu Hause ihre Kunst verkaufen oder den
globalen Markt suchen?

Boll:
Ein internationales Auktionshaus versucht, für die Kunden jene Marktplätze zu
identifizieren, an denen Umsatz und Transaktionsvolumen am höchsten sind. Mit einem
Spitzenobjekt würde man vermutlich nach New York gehen, mit einem Künstlerbuch vermutlich
nach Paris. Ein Alter Meister verkauft sich in London am besten. Das lässt sich statistisch
genau nachweisen. Je höherwertiger das Objekt ist, desto wahrscheinlicher wird es auf einem
der vier großen Marktplätze, New York, Paris, London oder Hongkong, auftauchen.

ZEIT:
Ihr Haus kann zwar schnell reagieren, aber die Welt ist ebenso dynamisch. Kommt man noch
hinterher?

Boll:
In mehr als 250 Jahren haben wir eine gewisse Fähigkeit gezeigt, unter wechselnden
Bedingungen zu agieren. Wir bemühen uns, die globale Welt und die Veränderungen der
Kunstmärkte zu verstehen, auch das Sammelverhalten.

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