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China: Die Angst der Händler

Wer erfahren will, welche Folgen die Politik von US-Präsident Donald Trump
für Unternehmen in China hat, der sollte Cheng Jiebo besuchen. Cheng betreibt die
Exportagentur Ejet in Yiwu, einer Millionenstadt im Osten des Landes. Wie kaum ein anderer Ort
steht Yiwu heute für “Made in China”. Hier liegt der laut Analysten der Investmentbank Morgan Stanley “weltgrößte Großmarkt für Kleinwaren” mit 24 Milliarden Dollar Jahresumsatz.
Zehntausende Fabrikanten und Händler liefern Plastikspielzeug, Regenschirme, Küchenarmaturen,
Autoelektronik und Weihnachtsdekoration in alle Welt.

Davon hat Cheng in den vergangenen Jahren bestens profitiert. Cheng war einst ein Büroangestellter in der Provinz, im Jahr 2007 machte er sich selbstständig. Danach ging es los. Um zwanzig Prozent wuchs sein Unternehmen anfangs im Jahr, dann um fünfzig Prozent, später um hundert Prozent, selbst nach der Finanzkrise machte er noch ein Plus, sagt er und zeichnet mit der Hand in der Luft eine imaginäre Steilkurve nach. Cheng hat Kunden in mehr als 100 Ländern und 50 Mitarbeiter, sie sprechen Englisch, Spanisch, Arabisch und Russisch. “Die ersten Jahre vergingen wie im Rausch”, sagt er. An den Füßen trägt der 40-Jährige teure Lederslipper, an der Wand hängt eine eingerahmte Collage aus Dollarscheinen.

Doch all das ist in Gefahr, seit Trump China den Handelskrieg erklärt hat. Vor wenigen Tagen erst habe der Chefeinkäufer einer amerikanischen Möbelkette, ein Stammkunde, eine Bestellung über 800.000 Dollar storniert, erzählt Cheng. Das Volumen seiner Kleiderlieferungen in die USA hat um die Hälfte abgenommen. Dieses Jahr rechnet er für sein Unternehmen erstmals mit hohen Verlusten. Einen Teil des Schadens fange zwar der niedrige Kurs der Landeswährung Yuan wieder auf, seine Produkte werden dadurch im Ausland etwas günstiger. Doch wegen des im Gegenzug starken Dollars gibt es weitere Probleme: “Auch meine Kunden in Südamerika stellen Bestellungen zurück, weil der Dollar für sie zu teuer geworden ist”, sagt Cheng. Viele seiner Zulieferer in Yiwu mussten bereits Arbeiter entlassen und ziehen mit ihren Fabriken nach Vietnam, Kambodscha oder Myanmar um.


19 Prozent


der Exporte Chinas gingen im Jahr 2017 an die USA

In den ersten Monaten des Handelskrieges lautete die Botschaft in Chinas Staatsmedien: Die Wirtschaft des Landes sei stark genug, um einen solchen Konflikt auszusitzen. Doch seit ein Deal mit den USA unwahrscheinlicher wird, nimmt die Verunsicherung bei Unternehmern und der Bevölkerung zu: “2019 wird das schlechteste Jahr der vergangenen zehn Jahre werden, aber das beste Jahr der kommenden zehn Jahre”, lautet ein Online-Meme, das Wang Xing, Chef der populären Online-Lieferplattform Meituan Dianping, kürzlich mit seinen Followern teilte.

Der Spruch trifft die Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung. Nach Jahrzehnten der ungebrochenen Zuversicht macht sich zum ersten Mal Pessimismus breit, selbst unter Chinas erfolgsverwöhnten Superreichen: Eine Erhebung des
Hurun Report,

der jährlich ein Ranking der reichsten Chinesen veröffentlicht, ergab kürzlich, dass nur noch ein Drittel der befragten Dollarmillionäre die Konjunkturaussichten positiv bewertet – 2017 waren es noch zwei Drittel. Nahezu die Hälfte gab an, auswandern zu wollen oder bereits Vorkehrungen getroffen zu haben. Und in der Hongkonger Tageszeitung
South China Morning Post
berichtete ein Vermögensberater kürzlich davon, dass seine wohlhabenden Kunden nun vermehrt Goldbarren in Hongkong bunkern würden. Andere würden außerdem zu Hause Barreserven in amerikanischen oder australischen Dollar horten.

Wie weit die Unzufriedenheit reicht, ist schwer zu fassen, da es in China an verlässlichen Meinungsforschungsinstituten fehlt und der Propagandaapparat immer mehr Negativnachrichten zur Wirtschaftslage zensiert. Doch hört man sich unter Geschäftsleuten um, ist der Unmut unverkennbar: An Exportstandorten wie Yiwu, wo Cheng Jiebo seine Agentur betreibt, und im südlichen Perlflussdelta grassiert die Angst vor Firmenpleiten. Für die Mittelschicht werden durch den schwachen Kurs des Yuan Auslandsreisen teurer. Wohlhabende Eltern fürchten, ihre Kinder nicht mehr für ein Studium in die USA schicken zu können.

Unzufriedene melden sich in Online-Foren, weil die Staatsmedien schweigen

Es wächst außerdem die Sorge vor Arbeitslosigkeit und Inflation: Zuletzt haben Großkonzerne wie Sony oder der Technologie-Gigant Oracle Smartphonefabriken und Forschungsstandorte mit Hunderten Mitarbeitern geschlossen. Laut einem Beschäftigungsindex der Pekinger Renmin-Universität sank die Zahl der offenen Stellen im Vergleich zu den Bewerbern nun drei Jahre in Folge. Derweil steigen in den Supermärkten die Preise für Lebensmittel, im April gar um sechs Prozent. “Ein halbes Kilo Trauben kostet inzwischen 30 Yuan (3,80 Euro,
Anm. d. Red.),
doppelt so viel wie vor einem Jahr. Das ist unbezahlbar”, sagt etwa Cao, ein Gastechniker aus der Provinz Shanxi, der nicht seinen vollständigen Namen nennen will.

Die gestiegenen Preise für Obst und Lebensmittel treiben einfache Angestellte wie Cao besonders um: Cao verdient bei einem Staatsunternehmen rund 650 Euro im Monat. Er ist Single, wie für viele in seinem Freundeskreis sei an Heiraten und Familienplanung nicht zu denken: “Die hohen Immobilienpreise und Erziehungskosten machen Kinderkriegen unmöglich”, sagt er. Die Unsicherheit darüber, wie es mit der Wirtschaft weitergeht, komme nun erschwerend hinzu.

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