/Frauen in Saudi-Arabien: Bitte einsteigen

Frauen in Saudi-Arabien: Bitte einsteigen

“Voll einschlagen”, sagt Layla Asiri. Sie liegt fast auf dem Beifahrersitz, so schräg steht das Auto am Hang, Schnauze oben. Auf dem Fahrersitz kurbelt eine Frau das Lenkrad bis zum Anschlag. Asiri sagt: “Wenn du nicht willst, dass dein Auto rückwärts die Straße runtergespült wird, dann park am Berg immer mit eingeschlagenem Lenkrad.” Es ist Januar, tiefster Winter in Saudi-Arabien, doch in der Stadt Dschidda am Roten Meer sind es auch jetzt 25 Grad. In der Wüste regnet es zwar selten mehr als ein-, zweimal im Jahr. Dann aber würden Straßen mit dem kleinsten Gefälle zu Sturzbächen, erklärt Asiri. Die Frauen, denen sie das Autofahren beibringt, sollen auf alles vorbereitet sein. Sie sollen besser fahren als jeder Mann.

Layla Asiri, 33, zierlich, spricht leise und kein Wort zu viel. Doch was sie sagt, sagt sie bestimmt und ohne Zögern. Seit Kurzem ist sie eine der ersten Fahrlehrerinnen Saudi-Arabiens.

Es war eine der großen Nachrichten des vergangenen Jahres, dass Frauen in Saudi-Arabien künftig ein Auto lenken dürfen. Mehr als 60 Jahre lang war das verboten gewesen – anders als in jedem anderen Staat der Welt. Bilder der Frauen in schwarzen Schleiern, die sich am 24. Juni 2018 um 0.01 Uhr in Riad und Dschidda ans Steuer setzten, gingen um den Globus. Und mit ihnen der Eindruck: Dieses Land kommt in Bewegung. Doch was hat sich wirklich getan?

Der Hang, an dem Asiri und ihre Schülerin parken, ist keine drei Meter hoch und künstlich angelegt. Von hier oben überblickt Asiri den gesamten Übungsplatz, groß wie drei Fußballfelder. Der Asphalt ist noch frisch. Zwischen den Betonklötzen und Plastikzylindern darauf kurven etwa ein Dutzend weißer Autos herum wie durch ein Spielzeugland. Dessen Grenze bildet ein Zaun aus weißen, blickdichten Plastikpaneelen. Der Zaun ist höher, als ein Mann springen kann. Auf diesem Platz absolvieren die Frauen alle Fahrstunden und die Prüfung. Erst danach dürfen sie raus auf die Straße.

In Deutschland lernt man Autofahren im Straßenverkehr; auch Männer in Saudi-Arabien tun das. Saudische Frauen lernen hinter einer Sichtschutzwand.

Der Eingang zur Fahrschule liegt an der Seite des Gebäudes, von der Straße ist er nicht einsehbar. Hinter der Flügeltür aus Glas beginnt eine reine Frauenwelt: Frauen sitzen am Empfangsschalter und auf den Chefsesseln, sie reparieren die Autos und nehmen die Fahrprüfungen ab. Manche streifen schon auf der Türschwelle ihr Kopftuch ab. Die einzigen Männeraugen blicken von zwei Fotos herab: Saudi-Arabiens König Salman und sein Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman, beide mild lächelnd.

Am Empfang erwartet Rawan Althomali den Besuch aus Deutschland. Althomali, 28, Sonnenbrille im offenen Haar, hat hier als Fahrlehrerin angefangen wie Layla Asiri. Inzwischen ist sie Assistentin der Direktorin und zuständig, wenn Journalisten kommen. Althomali hat in den USA studiert, Kunst und Fotografie, und sie kann so einnehmend sprechen, als moderiere sie eine Talkshow. Währenddessen hält sie ein Klemmbrett mit Notizen fest in den Händen.

Zu Jahresbeginn ist diese Fahrschule in Dschidda eine von vier Frauenfahrschulen in ganz Saudi-Arabien. Etwa 100 Schülerinnen lernen hier, etwa 50.000 Namen werden bis Mai auf der Warteliste stehen.

In dem Neubau sieht es aus wie auf Werbebildern aus einem Hochglanzmagazin: Im hellen Atrium warten aufwendig geschminkte Frauen auf pinken Sofas auf ihre Fahrstunden und Prüfungen. In einem Lehrsaal üben Anfängerinnen an nagelneuen Fahrsimulatoren. Ein Intensivkurs umfasst hier 30 Stunden und kostet 2500 Rial, circa 600 Euro. Das ist nicht unerschwinglich, aber es ist dreimal mehr, als Männer an saudischen Fahrschulen bezahlen. Frauen lernten hier allerdings gründlicher, erklärt Althomali. Tatsächlich hat Saudi-Arabiens Verkehrsminister erst vor Kurzem erklärt, dass die Fahrausbildung für Männer künftig an die der Frauen angepasst werden soll. Dabei sollte doch in diesem Land bislang unbedingt alles beim Alten bleiben.

Saudi-Arabien ist ein Staat, dessen Führung strenge Sitten zur Staatsdoktrin erklärt hat. Das Herrscherhaus paktiert mit reaktionären Geistlichen und inszeniert sich als Hüter eines ursprünglichen Islams. Die Männer an der Macht haben die vermeintliche Züchtigkeit der Frau zu Saudi-Arabiens Markenzeichen gemacht – und bislang jeden Ruf nach Wandel als Ketzerei gebrandmarkt.

Das war jahrzehntelang eine Erfolgsformel der Macht: Die Herrscher sichern mit den reichen Öleinnahmen des Landes relativen Wohlstand. Dafür bleibt die absolute Monarchie unangetastet, und mit ihr die Reglementierung der Frau. Doch diese Gleichung geht nicht mehr auf, seit dem Staat das Geld ausgeht. Das Öl spült nicht mehr genug Einnahmen in die Kassen. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung. In Saudi-Arabien sind heute rund 60 Prozent der Bürger jünger als 30 Jahre. Ihnen fehlen Jobs – und Freiheiten.

Diese Krise hat einen Mann an die Spitze des Staates gebracht, der erst 33 Jahre alt ist: Kronprinz Mohammed bin Salman. Er ist besessen von der Idee, die Macht in den Händen seiner Familie zu erhalten. Um das zu erreichen, will er Saudi-Arabien öffnen. Ausländer sollen Geld ins Land bringen und saudische Unternehmer eine Wirtschaft abseits des Öls aufbauen. Dafür hat der Prinz ein riesiges Reformprogramm angestoßen und die Sittengesetze gelockert. Die Frauen sind der Schlüssel zu seinem Erfolg.

Eine Mechanikerin vor einem Fahrschulauto. In der Fahrschule arbeiten nur Frauen.
© Iman Al-Dabbagh

Geht es nach dem Prinzen, dann sollen künftig mehr Frauen arbeiten. Auch deshalb sollen sie nun Auto fahren dürfen. Hinzu kommt: Je mehr Beschränkungen der Prinz aufhebt, die den Frauen die Freiheit rauben, desto dankbarer sind sie ihm. Frauen haben im saudischen Staat zwar wenig zu sagen, doch wer sie auf seiner Seite weiß, so die Logik des Machthabers, der kann nicht mehr so leicht aus dem Amt gefegt werden. Zumal die Liberalisierung im Westen gut ankommt. Als Rawan Althomali, die Pressesprecherin der Fahrschule, eine E-Mail vom
ZEITmagazin
erhielt, war das die erste Anfrage eines Mediums aus dem Ausland. Sie rief zuerst beim saudischen Informationsministerium an und bat dort um Erlaubnis, die Reporterin empfangen zu dürfen. Der Sprecher des Ministeriums richtete vor dem Treffen eine einzige Bedingung aus: keine Fragen zur Politik.

Ausländische Journalisten kommen nur mit einer Sondergenehmigung ins Land. Das Informationsministerium kontrolliert, welche Unternehmen oder Behörden sie besuchen. Das gilt auch für Fahrschulen. Die Frauen, die für neue Freiheiten stehen sollen, stehen auch unter Beobachtung. Wer sich dennoch zu ihnen ins Auto setzt, kann viel darüber erfahren, wie sie den neuen Spielraum zwischen Aufbruch und Kontrolle mit Leben füllen.

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