/Basketball: Wie die Toronto Raptors die NBA gewannen

Basketball: Wie die Toronto Raptors die NBA gewannen

Der alte König bekam eine letzte Chance. Es waren keine zehn Sekunden mehr zu spielen, als der Ball noch einmal bei Stephen Curry landete, einem der besten Distanzschützen aller Zeiten. Selten nur war Curry, 31, an diesem Abend frei zum Wurf gekommen, da ihn stets ein Schwarm bewacht hatte, mindestens zwei, meist drei Spieler der Toronto Raptors, und auch jetzt war Curry gedeckt. Aber er sah den Korb vor sich, sprang, warf und sah dem Ball hinterher. Drei Punkte hätten den Sieg gebracht, hätten ein Game Seven, ein siebtes Spiel bedeutet, in dem wieder, wie in all den letzten Jahren, alles möglich gewesen wäre.

Doch nein. Der Ball klatschte auf den Ring, fiel zu Boden, und dann war es vorbei.

Ein neuer König regiert. Er holte beide Pokale ab, jenen für den neuen Meister der National Basketball Association (NBA) und den für den besten Spieler. Er jubelte, klar, er war am Ziel; aber er hielt sich doch zurück, respektvoll, denn der neue König weiß schon, dass Triumph und Tragik nahe beieinander liegen können. Von Verletzungen geplagt wurde er bereits, und der Gejagte ist ab sofort er, Kawhi Leonard, 27.

Und so ist es ja tatsächlich im Sport: Große Geschichten wollen nach dem letzten Schlusspfiff erzählt werden, Geschichten vom Scheitern und vom Gelingen; manchmal aber wissen alle Beteiligten sehr genau, wie zufällig das alles war – und dass es ganz leicht ganz anders hätte kommen können. Und auch jene Geschichten, die dann erzählt worden wären, hätten ihre innere Logik gehabt.

Ergebnisse aber schaffen Wahrheiten: Mit 114:110 siegten die Toronto Raptors am späten Donnerstag im kalifornischen Oakland bei den Golden State Warriors. Damit gewannen sie alle drei Auswärtsspiele, und sie entschieden diese Finalserie mit 4:2 Siegen, wodurch nun erstmals ein kanadisches Team den wichtigsten Titel des Basketballs erobert hat.

Von glorreichen Helden ist darum zu berichten.  

Denn was für ein Manager ist dieser Masai Ujiri, 48. 

Die Geschichte der Toronto Raptors war seit ihrer Gründung vor 24 Jahren die eines Teams aus der zweiten Reihe, gut geführt, doch niemals glamourös genug für den NBA-Thron. Spieler wie Chris Bosh wurden in Toronto schlau trainiert und zogen dann weiter, da sie Meister werden wollten, und mit Miami Heat wurde Bosh dann Meister. Natürlich.

Natürlich?

Ujiri, gebürtiger Nigerianer, war durchaus stolz darauf, dass Toronto zuletzt dreimal in Folge über 50 Siege (in 82 Saisonspielen) geschafft hatte und dreimal in den Play-offs erst gegen die Cleveland Cavaliers von LeBron James verloren hatte. Er hatte sogar endlich einen Star, der seine Liebe zu Toronto erklärte und bis zum Karriereende bleiben wollte: DeMar DeRozan, verehrt von Kanadas Basketballfans. Doch nein, Ujiri reichte das nicht. Er entschied sich für volles Risiko.

In einer Liga, in der für alle Teams die gleiche Gehaltsobergrenze gilt und stets die schlechtesten Teams die besten Nachwuchsspieler kriegen, ist die Konkurrenz gewaltig. Nur die mit viel Geduld bestgeführten Clubs, die Boston Celtics oder die San Antonio Spurs, bleiben hier langfristig oben. Lausig geführte, wie die New York Knicks, kommen niemals hoch. Gelegenheiten sollte man in dieser Welt nutzen, sofort.

Wie irre, wie selbstzerstörerisch

Ujiri also hörte im vergangenen Jahr, dass LeBron James Cleveland verließ und nach Los Angeles ging, und verstand: Die Gelegenheit war da. Sein eigenes Team war gut, aber nicht grandios. Darum tauschte Ujiri seinen guten Star, DeRozan, gegen einen grandiosen Weltstar ein, den Forward Kawhi Leonard von den Spurs – obwohl dieser Leonard schon in diesem Sommer 2019 wieder ein sogenannter Free Agent sein wird, ungebunden, und sich seinen nächsten Club aussuchen kann.

Und damit setzte Ujiri alles, was er hatte, auf exakt dieses eine Jahr.

Wie irre, wie selbstzerstörerisch hätte seine Entscheidung gewirkt, wenn Toronto früh ausgeschieden wäre.

Wie irre wirkte sie gleich in der ersten Play-off-Runde, im siebten Spiel gegen Philadelphia, als in der letzten Sekunde der Ball, nach Leonards Distanzwurf, dreimal auf den Ring klatschte und die Raptors ausgeschieden waren – ehe sich der Ball doch noch bequemte, durchs Netz zu rutschen. 

Wie brillant, wie mutig, wie entschlossen steht der Manager Masai Ujiri heute da, mit dem Titel, den alle wollen, die in der NBA mitmischen.

Da waren noch weitere Entscheidungen: Einen Trainer, der dreimal die Play-offs erreicht hatte, Dwane Casey, muss man auch erst einmal entlassen und durch den Neuling Nick Nurse ersetzen, diesen Kerl, der noch charismatischer, vor allem taktisch noch raffinierter wirkt. 

Jetzt. Hinterher. Mit dem Titel.

Und einen Spieler wie Fred VanVleet muss man entdecken. Kein Club hatte diesen VanVleet im Draft ausgewählt, keiner wollte ihn: “undrafted“, das ist ein ewiges Stigma, eigentlich. Jetzt aber hat der Billigprofi VanVleet sechs Spiele lang Stephen Curry bewacht, den alten König, und in Spiel sechs obendrein fünf Dreipunktewürfe verwandelt. “Er ist ein Champion”, sagte Curry, “er hat es schwer verdient.”

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