/Alexander-Haus: “Wenn ich nach Deutschland kam, hatte ich Angst”

Alexander-Haus: “Wenn ich nach Deutschland kam, hatte ich Angst”

Ein sonniger Vormittag am Groß Glienicker See westlich von Berlin. Der Autor Thomas Harding ist gerade aus London angereist, um bei
den letzten Renovierungen am Sommerhaus seiner Urgroßeltern mitzuhelfen. Als Juden flohen sie 1936 vor den
Nazis nach England. 2013 gründete Harding gemeinsam
mit Leuten aus der Nachbarschaft den Alexander-Haus-Verein, um das inzwischen
denkmalgeschützte Gebäude vor dem Abriss zu bewahren. Das restaurierte Haus dient als
Museum
und Ort für interkulturelle Verständigung. Am 16. Juni
wird es offiziell eröffnet.

ZEIT ONLINE: Wir sitzen hier im Garten eines schönen,
aber eher unscheinbaren Hauses. Dieser Ort ist für Sie persönlich von
großer Bedeutung und spiegelt darüber hinaus, wie Sie in Ihrem Buch Sommerhaus
am See
schreiben, die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Was macht das Alexander-Haus so besonders?

Thomas Harding: Für
mich symbolisiert es zunächst einmal eine persönliche Reise. 1993 kam ich das erste Mal mit meiner Großmutter Elsie hierher. Sie hatte hier gelebt,
bis sie 1936 vor den Nazis nach England floh. Sie hat dieses Haus
geliebt, sie nannte es ihren “Ort für die Seele”. Es ist die letzte erhaltene physische Spur unserer Familie in Berlin. Alles andere – das
Apartment in der Stadt, die Arztpraxis meines Urgroßvaters – wurde zerstört.
Bei unserem gemeinsamen Besuch traf meine Großmutter Wolfgang Kühne, den damaligen
Bewohner. Sie unterhielten sich über das Haus und diverse Renovierungsarbeiten. Sie waren
beide sehr stolz auf das Haus. Die Liebe meiner Großmutter für
dieses Haus zu sehen, war eindrücklich, denn es hat sie – und damit auch
mich – in Deutschland und an diesem Ort verwurzelt.

ZEIT ONLINE: Sie beschreiben, dass Ihre Familie früher nie in
Deutschland Urlaub gemacht hat und keine deutschen Produkte kaufte.

Harding: Die Wut und der Schmerz saßen tief. Wegen dem, was meiner Familie hier passiert ist, und den vielen anderen jüdischen Familien. Es war ein gewaltiges Trauma, mit dem
wir tagtäglich lebten. Wenn ich später nach Deutschland kam, was nicht sehr oft
war, hatte ich Angst. Ich lief buchstäblich ängstlich durch die Straßen. Das änderte sich erst, als ich zusammen mit meiner Großmutter hierherkam.

ZEIT ONLINE: Nach diesem ersten Besuch kamen Sie erst 2013 im
Zuge einer Recherche wieder. Das Haus stand mittlerweile leer.

Harding: Ja, und
damals habe ich angefangen, mit Leuten aus Groß Glienicke zusammenzuarbeiten. Zum ersten Mal hatte ich täglich mit Deutschen zu
tun. Meine eigenen Beziehungen in Deutschland aufzubauen, veränderte meinen Eindruck von dem Land. Die Dorfbewohner hatten bereits mit
Nachforschungen darüber begonnen, was mit den Juden
passiert ist, die hier gelebt hatten. Bevor die Nazis an die Macht kamen, war ein Viertel der
Dorfbewohner jüdisch. Die Anwohner wollten mehr über ihre Geschichte
erfahren und die Verbrechen aufarbeiten.

ZEIT ONLINE: Waren Sie überrascht, dass die Dorfbewohner
diese Nachforschungen angestellt hatten?

Harding: Absolut. Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine
Dorfgemeinschaft so etwas macht. Aber es war die Basis für unser Engagement. Hätten die Bewohner die Recherchen nicht angestellt, hätte ich das Projekt Alexander-Haus nicht
begonnen. Und das gilt ganz sicher auch für den Rest meiner Familie, denn ohne
die Wahrheit kann es keine Aussöhnung geben.

ZEIT ONLINE: Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie erzählten, das Haus in Groß Glienicke in ein Museum verwandeln zu wollen?

Harding: Meine Familie
war sehr skeptisch. Mein Vater fragte, ob ich allen Ernstes erwarte, dass er das Projekt finanziell unterstütze, wo es doch die Deutschen waren, die  uns das Haus weggenommen hatten. Meine Cousinen entgegneten, dass es eine gute Gelegenheit zur Aussöhnung sei. Der Kompromiss war, dass sich jeder, der wollte, beteiligen konnte. Mittlerweile unterstützt meine gesamte Familie das Projekt.

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