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Gendertheorie: Wir fallen nicht als Männer oder Frauen vom Himmel

Männlich und weiblich schuf er sie lautet der Titel des neuen
Leitfadens des Vatikans zur Gendertheorie. Indem sie Geschlecht als etwas
Individuelles, Selbstgemachtes, Willkürliches verstehe, missachte die “Gender-Ideologie”
die natürliche Zweigeschlechtlichkeit der Menschen – diesen Vorwurf macht die katholische Kirche feministischen Diskursen schon lange. Auch in dem neuen
Papier des Vatikans
wird eine christliche Anthropologie entworfen, die eine
bestimmte Form von Sexualität und Familie – das heterosexuelle monogame Paar
mit eigenen Kindern – als nicht nur christliche Präferenz, sondern als
naturgegebene, als beste, als einzig legitime und gottgewollte Form menschlicher
Vergesellschaftung behauptet.

Wenn man das Papier genauer liest (hier im englischen
Wortlaut
),
stellt sich allerdings heraus, dass die reproduktive Differenz – und darum geht
es ja, wenn von biologischer Zweigeschlechtlichkeit die Rede ist – in den
vatikanischen Vorschlägen weit weniger zu ihrem Recht kommt, als man erwarten
dürfte. Auch die Frage, was es bedeutet, dass Menschen nicht als Männer oder
Frauen vom Himmel fallen, wird in den Überlegungen nicht ernst genommen. Der
Verweis auf die Natur dient lediglich dazu, die eigene Geschlechterideologie
zu legitimieren – auf Teufel komm raus, möchte man fast sagen.

Gendertheorie: Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der politischen Ideengeschichte von Frauen. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".

Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der politischen Ideengeschichte von Frauen. Sie ist Gastautorin von “10 nach 8”.
© Laurent Burst

In einem kann man dem Vatikan durchaus recht geben: Es
lassen sich tatsächlich innerhalb der menschlichen Spezies zwei Varianten
unterscheiden. Die einen haben Eierstöcke, Klitoris, XX-Chromosomen, Östrogene
und eine Gebärmutter, die anderen Hoden, Penis, XY-Chromosomen, Testosteron und
keine Gebärmutter. Selbst bei einer sehr engen Definition von “richtiger”
biologischer Weiblichkeit und Männlichkeit können laut einer von der
Biowissenschaftlerin Anne Fausto-Sterling und anderen verfassten Meta-Studie 98 Prozent aller Menschen
eindeutig einer dieser beiden Varianten zugeordnet werden. Die restlichen 2
Prozent sind Geschlechtsvarianten ganz unterschiedlicher Art, wobei sich die
allermeisten Betroffenen gleichwohl als Frauen oder Männer verstehen und auch
in reproduktiver Hinsicht zugeordnet werden können. Wirkliche biologische
Intersexualität, der sogenannte Hermaphroditismus, kommt nur in der
Größenordnung von 1:20.000 bis 1:100.000 Geburten vor.

Allerdings hat sich das Konzept von Geschlecht in
westlich-abendländischen Gesellschaften schon lange sehr weit davon entfernt,
eine schlichte Bezeichnung für die reproduktiven Funktionen eines Körpers zu
sein. Und es waren nicht Feministinnen, die damit angefangen haben. Sich “wie
ein richtiges Mädchen” oder “wie ein richtiger Junge” zu verhalten, wird
Kindern seit Jahrtausenden von klein auf angeraten, ja aufgezwungen, und mit
ihnen eingeübt. Es reicht also offensichtlich nicht, einen bestimmten Körper zu
haben, sondern man muss Geschlecht darstellen, damit das Konzept funktioniert.
Männlich und weiblich sind Attribute, die wir zudem nicht nur Menschen
zusprechen, sondern auch Kleidungsstücken, Sportarten oder Berufen, neuerdings
sogar Hautcremes, Chips oder Bratwürsten.

Die körperliche Verfasstheit ist nur ganz am Rande gemeint,
wenn wir im Alltag von Frauen und Männern sprechen. Geschlecht ist
hauptsächlich Performance, etwas, das wir aktiv darstellen und tun, und nichts,
was wir einfach sind. Die Unterscheidung von Geschlecht und Biologie ist also
ein zentraler Bestandteil unserer Kultur, gerade auch in ihrer christlichen
Prägung. Queerfeministische Ansätze denken diese Entwicklung nur konsequent zu
Ende, wenn sie bezweifeln, dass zwischen beidem überhaupt ein substanzieller
Zusammenhang besteht.

Die Frage bleibt aber, welche Rolle die reproduktive
Differenz spielen soll. Von daher ist das Thema, das der Vatikan aufwirft,
eigentlich ganz spannend. Leider stülpt dieses Papier der Biologie dann aber
nur die eigenen Vorurteile über, anstatt sie wirklich ernst zu nehmen. Zum
Beispiel, wenn die Geschlechterdifferenz durchgängig als komplementär oder
reziprok beschrieben wird – und Männer und Frauen als zwei Seiten derselben
Medaille, die einander ergänzen, unterschiedlich, aber eben deshalb perfekt
zueinander passend.

So lassen sich die biologischen Vorgänge der Reproduktion
aber gerade nicht beschreiben. Sie sind einseitig und alles andere als komplementär.
Kinder werden zwar von zwei Menschen gemeinsam gezeugt
(Eizelle und Sperma kommen zusammen). Anschließend ist aber nur eine Person
schwanger. Ein Paar kann noch so emanzipiert und gleichberechtigt sein, das
Kinderkriegen kann man sich nicht “gerecht” aufteilen wie das Badputzen oder
das Einkaufen. Die Gebärmutter ist kein komplementäres Organ, sondern ein
binäres: Man hat eine oder man hat keine. Eins und Null. Das unterscheidet den
Uterus von allen anderen Organen des menschlichen Körpers, die entweder bei
allen Menschen gleich sind (wie die Nase), oder tatsächlich komplementär:
Eierstöcke und Hoden, Klitoris und Penis, Schamlippen und Hodensack sind
eigentlich dasselbe, nur in einer weiblichen und einer männlichen Variante.
Entsprechend gibt es Zwischentöne und Übergänge, zum Beispiel eine lange
Klitoris, die vielleicht auch ein kurzer Penis sein kann.

Der Uterus hingegen ist ein Organ, für das es kein Pendant
im männlichen Körper gibt. Beim Schwangerwerdenkönnen endet die
Komplementarität der Geschlechter. Die Vorstellung, dass zwei Menschen
gemeinsam ein Kind bekommen, ist eine kulturell hervorgebrachte Idee und bildet
gerade nicht ab, was auf einer biologischen Ebene beim Kinderkriegen passiert.
Biologisch gesehen bekommt immer nur ein Mensch
ein Kind.

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