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Bruce Springsteen: Am Ende des Weges

Feuer, Wasser, Erde, Luft, Springsteen. Dieser Mann ist längst so etwas wie ein fünftes Element, jedenfalls für die Vereinigten Staaten von Amerika. Seit 45 Jahren und 19 Alben singt Bruce Springsteen über das Land, aus dem er kommt, die Straßen, die es durchkreuzen, die Autos, die darauf fahren – und all die Leute, die vom Weg abkommen, die Ausfahrt verpassen, liegenbleiben, weiterbrettern. So lange schon geht das jetzt und so eindringlich tut Springsteen, was er eben tut, dass er inzwischen selbst wie ein Teil der American experience wirkt: halb Mensch, halb Asphalt, eine E-Gitarre auf Allwetterreifen, der einzig wahre musikalische Berichterstatter aus der ewigen Mitte des Geschehens. Nicht Amerikas bester Songwriter, aber der amerikanischste.

Als kürzlich eine Liste mit den Auftrittsmusiken aller mehr oder weniger ernstzunehmenden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten auf Twitter kursierte, war Springsteen selbstverständlich wieder dabei. Republikaner wiederum untermalen ihre Wahlkampfevents gern mit der Anti-Kriegs- und Anti-Establishment-Hymne Born in the USA und stören sich einfach nicht an der eigentlichen Botschaft des Songs. Das Vermächtnis des 69-Jährigen ist also zumindest in dieser Hinsicht parteiübergreifend gesichert.

Überhaupt könnte sich Springsteen zurücklehnen, so weitermachen wie bisher oder eine Mischung aus beidem anstreben. Und doch wagt er nun einen Neuanfang, zumindest musikalisch.

Springsteens neues Album Western Stars trägt zwar die komplette Geschichte des Songwriters und seiner Heimat mit sich herum, klingt aber wie kein Springsteen-Album zuvor. Die E Street Band ist nicht dabei diesmal, doch weder das in sich gekehrte Solo-Standardwerk Nebraska (1982) noch die Einmannkonzerte, die Springsteen zuletzt am New Yorker Broadway zwischen Oktober 2017 und Dezember 2018 absolvierte, sind mit Western Stars ästhetisch eng verwandt. Auch die Rock-’n’-Roll-Prosa der Autobiografie Born to Run (2016) hat keinen bleibenden Einfluss auf die jüngsten seiner Lieder genommen.

Die Westcoast, Springsteens Zweitlieblingsküste

Stattdessen macht Springsteen jetzt Westcoast-Pop. Er singt mit generalüberholter Staublunge, höher und weicher als je zuvor, jedoch auch mit Hang zum Knödeligen. Akustik-, E-Gitarre und Banjo spielt er selbst, die Lap-Steel kommt vom Fachmann. Schlagzeug, Bass, Keyboards und weiblicher Hintergrundgesang weisen zugleich nach Westen und zeitlich zurück, auf jene Popmusik, die in den späten Sechzigerjahren an Springsteens Zweitlieblingsküste (denn er selbst stammt ja aus Jersey an der Ostküste) produziert wurde. Das Tempo ist schleppend, der Rhythmus verschunkelt. Orchesterarrangements begraben nahezu alle Feinheiten der Songs unter einer zentimeterdicken Schmalzschicht.

Doch das alles ist nicht der Punkt. Springsteen hat sich an dieses Album langsam herangearbeitet. Western Stars hat eine längere Vorgeschichte, Springsteen hat die Arbeit an dem Album, seinem ersten Studiowerk seit 2014, immer wieder in den vergangenen zehn Jahren unterbrochen zugunsten anderer Projekte. Hier ein Festivalangebot, dort ein Hilferuf von Obama. Mindestens im Hinterkopf behielt er das Album und dessen ungewöhnlichen Sound offensichtlich trotzdem. Schon auf Springsteens letzter großer Stadiontour, die sich im Laufe mehrerer Jahre zu einem Triumphzug über sechs Kontinente ausweitete, deuteten vereinzelte Momente einer Beschäftigung mit Westcoast-Pop und Streicherschwulst aus den späten Teenagerjahren des Künstlers an. Auf der Bühne jedoch drehten sich unablässig die Zementmischer der E Street Band. Die Show musste weitergehen, und die Straße sowieso.

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